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Das Problem der Demokratie-Mehrheiten

Der demokratische Grundgedanke ist ein genialer, aber dennoch ideeller. Die Demokratie ist das Konzept, dass eine mehrheitsgeleitete Gesellschaft zulässt. Wer kann die Bevölkerung eines Landes besser regieren als die Bevölkerung selbst? Dabei ist die Demokratie auch die einzige Staatsform, die vollständig von der Stimmung innerhalb der Bevölkerung abhängt. Was ihre Errungenschaft ist ist gleichzeitig das Problem der Demokratie-Mehrheiten. 

Problem der Demokratie-Mehrheiten: Trägheit und Vertrauensverlust

 

Inhalt

 

Entscheidungsfindung

Es gibt zwei extreme Varianten, wie Entscheidungen getroffen werden können. Unkollegial oder kollegial. In ersterem Fall diktiert eine Person ihre Entscheidung der Gruppe, während bei der kollegialen Entscheidungsfindung die Gruppe Entscheidungen der Gruppe diktiert. Trifft eine Person eine individuelle Entscheidung fallen kollegial und unkollegial zusammen, da sie sowohl die Gruppe als auch die Person verkörpert. Hier soll sich mit dem anderen Fall beschäftigt werden (Gruppe ist nicht gleich Person).  

 

Unkollegial

Wird unkollegial eine Entscheidung getroffen, ergibt sich ein entscheidender Vorteil gegenüber kollegialer Entscheidungsfindung, schnelle Entscheidungen. Die führende Person kann frei ihre Überzeugungen verfolgen und durchsetzen. So lassen sich auch in schwierigen Phasen oder bei heiklen Themen schnelle Entscheidungen treffen, zudem ist die Person nur bedingt von der Stimmung der anderen Gruppenmitglieder abhängig. Solange sich die Führungsperson keine schwerwiegenden Fehler leistet, wird die Führung nicht beanstandet.  

Problematisch ist hingegen, dass eine Minderheit über eine Mehrheit herrscht und ihr die Entscheidung diktiert. Zudem entsteht kein politischer Diskurs und alternative, objektiv bessere Meinungen werden vielleicht gar nicht betrachtet. Abschließend ist die Frage, was die Person ermächtigt, ihre eigene Meinung als Gruppenmeinung zu deklarieren. Es herrscht ein Legitimitätsproblem.  

 

Kollegial

Dieses Problem gibt es in einem voll kollegialen System nicht. Es ist zudem gesichert, dass die für die Gruppenmitglieder beste (bekannte) Entscheidung kraft Arguments getroffen wird. In einer optimal kollegialen Gruppe führt nicht die Meinung, sondern das Argument. Dieser Argumenten Austausch nimmt allerdings viel Zeit in Anspruch, es kommt zu Verzögerungen zwischen einem Eingang an Informationen und der Ausgabe einer Antwort beziehungsweise ihrer Umsetzung. In Krisenzeiten ist das besonders bedrohlich. Dieses Phänomen wird in der Entscheidungstheorie als “Action-lag” bezeichnet.  

 

Demokratie ein kollegiales System

Demokratie kommt aus dem altgriechischen und bedeutet “Volksherrschaft”, also ist sie ein kollegiales System. Unkollegiale Systeme sind hingegen beispielsweise Autokratien oder Monarchien. Die Staatsformen erben dabei selbstverständlich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Entscheidungsform (unkollegial/kollegial), womit wir zu dem Kernproblem der Demokratie kommen, obwohl dieses auch ihr größter Vorteil ist. Sie ist von der Mehrheit abhängig.  

 

Abhängigkeit von Mehrheitsverhältnissen

Warum ist das problematisch?  

Wir Menschen lieben unseren Lebensstandard und wir haben ständig Angst davor ihn zu verlieren. Deutet sich dies in Folge von Krisen an, kippt die Stimmung bei Menschen, die ihren Wohlstand aufgeben müssen. Dieser Wohlstandsverlust produziert Unzufriedenheit und allgemein wird angenommen, die Erhaltung des Lebensstandards der Bevölkerung ist die Aufgabe der Regierung.

In vollwertig demokratischen Gesellschaften werden Vertreter des Volkes gewählt, die Regierung. Diese erhält das Vertrauen und somit ihre Legitimität das Land zu repräsentieren über diese Wahlen. Dadurch ist die Demokratie, gewollt, vollständig abhängig von den Mehrheitsverhältnissen innerhalb des Landes. Gleichzeitig ist das aber auch die größte Schwachstelle. Die Regierung selbst ist aber direkt abhängig von der Bevölkerung, da sie ihre Legitimationsgrundlage ist und muss auf den Vertrauensverlust reagieren.   

 

Ursache langsamer Entscheidungsfindung

Demokratie lebt von Kooperation und Kompromissen, da es innerhalb der Bevölkerung immer mehr als eine Meinung geben wird. Diese wird auch bei den Wahlen und schlussendlich im Parlament abgebildet. Soll nun eine Entscheidung getroffen werden, beginnt ein langer Prozess des Austausches und des Diskurses über die beste Entscheidung zu einem bestehenden oder (optimalerweise) einem in der Zukunft auftretendem Problem um einen mehrheitsfähigen Beschluss entwerfen zu können. Dabei verfolgen die einzelnen Parteien innerhalb des Parlamentes ihre eigenen Vorstellungen und Einstellungen, abhängig von der Wählerschaft. 

Der Weg von einem Problem zu seiner Lösung inklusive ihrer Ausführung ist ein langwieriger, für die, die durch dieses Problem betroffen sind sehr frustrierend. Das liegt auch an der hohen Bürokratisierung der demokratischen Länder. Demokratien bedürfen eines sehr formalen Organisationsaufbaus, da alle Staatsdiener, wenn auch indirekt, ihre Legitimität aus der Bevölkerung des Landes nehmen.  

 

Situation: Krisenzeiten

In Krisenzeiten kommt es häufig zu einem Verlust an Lebensqualität, es muss verzichtet werden. Ein Umstand mit dem Menschen nicht umgehen können. In der Folge fordern sie von ihrem Staat Hilfe, um die Folgen der Krise abzufangen. Der Staat ist aber nicht in der Lage schnell zu reagieren und diese Trägheit schafft Unzufriedenheit mit der Regierung.  

 

Profit für Populisten

Die Folge dieser Unzufriedenheit und letztendlich des Gefühls allein gelassen zu werden, mündet in der Bildung radikaler Ströme. Diese fangen die Verzweiflung der Bürger ein und bieten ihnen ein Sprachrohr, um ihrem Unmut Luft zu machen. Auch finden sich antidemokratische Demagogen, die ihre Chance wittern. Ihrer Zielgruppe ist es in diesem Moment egal, wie sie aus dieser Lage der Verzweiflung herauskommen, sie nehmen jede Lösung an. Die Demagogen bieten dabei spielerisch einfache Lösungen an und verweisen darauf, dass die Regierung zu blind sei diese zu sehen oder aufgrund von eigenen Interessen zu arrogant diese umzusetzen.  

Meist mündet dieses extremistische Denken darin, dass ein Feindbild ausfindig gemacht wird, dass an der Notlage der Bevölkerung schuld sein soll. Damit befeuern diese vorhandenen Ängste und geben der Verzweiflung wie zuvor benannt ein Sprachrohr. Mit dieser Gefahr kämpfen Demokratien tagtäglich. An vielen Beispielen in der Geschichte sieht man, wie aus der Armut der Menschen schlussendlich das Ende der vorhandenen Demokratie resultierte.  

In Krisensituationen sehnen wir Menschen uns nach sicherer Führung, die uns schnell Sicherheit und Wohlstand bringt. Demokratien unterliegen aber, und das macht sie so modern, gewissen Spielregeln, wodurch schnell der Eindruck der Ineffizienz entsteht. Deshalb haben auch jegliche Demokratien Notfallgesetzgebungen verankert, um in Krisensituation ein wenig Willkür zuzulassen, da das System sonst schnell das Vertrauen der Bürger verliert.  

Das grundlegende Problem bleibt dennoch bestehen. Demokratie funktioniert nur solange die Mehrheit der Bürger an die Demokratie glaubt. Jeder Wohlstandsverlust innerhalb der Gesellschaft stärkt antidemokratische Bewegungen und schädigt das System. Deshalb ist es auch so fatal, dass die Mittelschicht immer kleiner wird und viele in die Armut rutschen.  

 

Die Rolle der Mittelschicht

In der Mittelschicht sind die grundlegenden Bedürfnisse gedeckt: Man hat keine akuten Existenzängste. Dadurch ergibt sich zudem der Luxus Zeit zu haben, um am politischen Diskurs teilzuhaben und Meinungen reflektiert zu betrachten. Eine große Mittelschicht ist das Rückgrat der Demokratie.  

Dazu kommt ein Großteil der Steuern aus der Mittelschicht, da die Oberschicht in der politischen Realität darin geübt ist, sich der Verantwortung zu entziehen. Wird die Mittelschicht nach unten kleiner, muss die Regierung zwangsläufig mehr Geld in die Hand nehmen, um die wachsende Unzufriedenheit aufgrund von Armut zu bekämpfen. Gleichzeitig fallen auch die Staatseinnahmen, was den Handlungsspielraum der Regierung weiter einschränkt, während ein größerer gebraucht wird. Deshalb ist eine gesunde Mittelschicht, als Kern einer Gesellschaft für die Demokratie unersetzlich.  

 

Fazit

Wir leben in einer gefährlichen Zeit, es verbinden sich mehrere Krisen, die einen negativen Einfluss auf den Wohlstand in unserer Gesellschaft haben. Gleichzeitig ist die Gefahr präsent, dass sich die wachsende ökonomische Unsicherheit und wachsende Armut zu einer demokratischen Unsicherheit ausweitet. Es ist im Interesse der Demokratie, dass alles unternommen werden muss um eine starke Mittelschicht aufrecht zu erhalten. Gelingt uns das nicht werden wir uns früher oder später an populistische Demagogen verlieren. 

Gleichzeitig ist es auch unsere Aufgabe zu realisieren, dass antidemokratische Tendenzen keine Option sind. Es wäre unklug unsere Demokratie so einfach an populistische Parolen zu verlieren. Dafür benötigt es aber auch in Krisenzeiten ein differenzierten Blick auf das Gesamtbild. Grundsätzlich aber ist die Welt nicht einfach und deshalb sollte man bei politischen Programmen, die einem vermeidlich einfache Lösungen bieten eventuell zweimal hinschauen.

Quellen und weiterführende Literatur

  1. Statistik: Armutsgefährdung
  2. Mittelschicht unter Druck (Buch)
  3. Populismus (1)
  4. Populismus (2)

 

 

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