Betrachtet man Abstimmungsprozesse innerhalb des deutschen Bundestages, fällt schnell auf, dass die Fraktionen in den meisten Fällen als eine Einheit abstimmen. Das ist erstmal nichts Absurdes, ganz im Gegenteil, es ist die Regel, aber dennoch eigentlich nicht vom Gesetzgeber vorgesehen. Dieser Beitrag soll sich mit der Fraktionsdisziplin beschäftigen und klären, ob sie im Sinne des demokratischen Gedankens handelt. Zudem wird der Unterschied zwischen Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin betrachtet!
Bild von Rodrigo Galindez
Unterschied zwischen Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin erklärt!
Inhalt
2. Wie entsteht eine Parteilinie?
3. Gesetzlicher Konflikt
4. Fraktionszwang oder Fraktionsdisziplin?
5. Folgen ohne Fraktionsdisziplin
6. Überparteiliche Fraktionsdisziplin
7. Gewissensfrage
8. Fazit
Was ist Fraktionsdisziplin?
Fraktionsdisziplin, die häufig synonym mit dem Begriff Fraktionszwang verwendet wird, bezeichnet das Verhalten von Abgeordneten innerhalb eines Parlamentes, oder ähnlichem, bei welchem sie innerhalb ihrer Fraktion einheitlich abstimmen. In Deutschland wird Fraktionsdisziplin geduldet, während der Fraktionszwang verboten ist, zu dem Unterschied gleich mehr.
Wie entsteht eine Parteilinie?
Steht eine Abstimmung über ein Gesetz im Bundestag an, beschäftigt sich damit zunächst einmal der Bundespolitischer Sprecher der jeweiligen Fraktion. Innerhalb einer Partei hat jeder Abgeordnete verschiedene Schwerpunkte, Interessensbereiche und Kompetenzen. Ein Bundespolitischer Sprecher ist auf einem bestimmten Gebiet der “Experte” der Fraktion und beschäftigt sich tiefgründig mit Gesetzen, die seinen Kompetenzbereich betreffen.
Steht jetzt eine Abstimmung zu einem Gesetzesentwurf bevor, beschäftigt sich der zuständige Politiker eingängig mit dem Thema, unter Berücksichtigung der Parteilinie und verteilt dann eine Handlungsempfehlung an seine Parteikollegen im Bundestag. In einer anschließenden Fraktionssitzung können die einzelnen Abgeordneten dann noch Bedenken äußern oder auch Debatten über die Parteilinie führen, ehe die Parteilinie bestimmt wird.
Gesetzlicher Konflikt
Die dort bestimmte Parteilinie ist für die Abgeordneten der Fraktion eine Vorgabe, wie sie stimmen sollten. Die Fraktionsdisziplin. An sich sieht das Grundgesetz diese Fraktionsdisziplin aber gar nicht vor. So heißt es in Artikel 38:
“Sie [die Abgeordneten des deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem eigenen Gewissen unterworfen”
Zwar würde das erstmal bedeuten, dass die Fraktionsweisungen verboten sind, aber gleichzeitig darf ein Abgeordneter aber nach Artikel 46
“zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung […] gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden”.
Das bedeutet, hält er sich an die “Vorschläge” seiner Fraktion ist dies geduldet und kann auch nicht verfolgt werden. Das ist auch der Unterschied zwischen dem Fraktionszwang und der Fraktionsdisziplin.
Fraktionszwang oder Fraktionsdisziplin?
Unter Fraktionszwang wird verstanden, dass einem Abgeordneten, stimmt er nicht mit der Fraktion rechtliche Konsequenzen drohen. Der Fraktionszwang geht von der Fraktion aus. Er oder Sie muss also mit der Parteilinie stimmen, da sonst rechtliche Konsequenzen drohen. Also eine sofortige Aufkündigung der Parteimitgliedschaft oder gar eine angedrohte Geldstrafe. In diesem Fall wird von einer unzulässigen Maßnahme gesprochen.
Die Fraktionsdisziplin hingegen geht vom Abgeordneten selbst aus. Er hätte theoretisch die Freiheit gegen die Parteilinie zu stimmen und muss dafür keine rechtlichen Konsequenzen fürchten. Gleichzeitig drohen selbstverständlich in der Realität politische Folgen. Der Abgeordnete erhält dann beispielsweise eine Position nicht oder erhält keinen Listenplatz mehr.
Die Übergänge sind allerdings nicht klar definiert, weshalb immer der Einzelfall betrachtet werden muss. Grundsätzlich kann sich gemerkt werden: Fraktionszwang geht von der Fraktion aus, also ist verpflichtend und die Fraktionsdisziplin geht vom Abgeordneten aus, der sich “freiwillig” die Fraktionslinie aneignet.
Folgen ohne Fraktionsdisziplin
Ein Parlament ohne geduldete und ausgeübte Fraktionsdisziplin hätte aber zwei gravierende Nachteile.
- Arbeitsteilung
Wie zuvor bereits erwähnt gibt es für jedes Themengebiet gewisse “Experten” innerhalb einer Fraktion. Generell hat jeder Politiker seine Kompetenzbereiche, besitzt aber gleichzeitig in vielen Bereichen nicht die nötige Expertise, um eine qualifizierte Entscheidung treffen zu können. Das würde dazu führen, dass entweder mit gefährlichem Halbwissen oder noch schlimmer ohne Einarbeitung abgestimmt wird. Ein Abgeordneter hat nicht die Zeit sich mit jedem Thema ausführlich zu befassen, weshalb die Abgeordneten thematische Arbeitsteilung betreiben.
2. Konstantes Stimmverhalten
Bei einer Bundestagswahl wählen wir, als Bürger unsere Vertreter über eine Liste. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass diese Vertreter auf der Liste unsere Interessen vertreten und diese sind zusammengefasst in den Grundsätzen der Parteien. Zusammen mit dem ersten Punkt könnten wir in der Folge nicht mehr sicher sein, dass unsere Interessen wirklich vertreten werden. Zudem müsste jeder Abgeordnete ein eigenes Grundsatzprogramm besitzen.
3. Ineffizienz im Parlament
Es ist in Demokratien schon schwer genug Mehrheiten zu finden, was nichts Schlechtes sein mag. Dennoch benötigt ein funktionierendes Parlament einen gewissen Effizienzgrad, um zu funktionieren. Gäbe es ständig wechselnde Mehrheiten, würden Entscheidung kaum zu Stande kommen. Zudem müssten sich immer wieder neue Bündnisse bilden nur um ein Gesetz zu beschließen.
Überparteiliche Fraktionsdisziplin
In der deutschen Demokratie existiert neben der Innerparteilichen Fraktionsdisziplin auch eine Überparteiliche. Bildet sich eine Regierungskoalition ist meist im Koalitionsverhalten festgehalten, dass die Parteien bei Abstimmungen im Bundestag als eine Einheit abstimmen. So steht im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung:
“Im deutschen Bundestag […] stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab”
Diese Versicherung sichert einmal die Mehrheit und sichert zudem das effektive Regieren.
Gewissensfrage
Dennoch gibt es einen Fall, indem die Fraktionsdisziplin aufgehoben wird, wenn von der Fraktionsführung eine Gewissensfrage ausgerufen wird. Die Folge ist, dass die Parlamentarier keinerlei Handlungsempfehlungen von Seiten ihrer eigenen Fraktion erhalten, es wird auch keine Sitzung einberufen, in der die Fraktionslinie bestimmt wird. Dies ist häufig bei ethischen Entscheidungen, wie zuletzt der Impfpflicht der Fall. Der Sinn ist, dass die Abgeordneten bei heiklen Themen, als Bürger abstimmen und nicht als Abgeordnete einer Fraktion. Dennoch ist häufig erkennbar, dass die zuvor benannten Nachteile eintreten.
Fazit
Zusammengefasst ist es gut, dass eine inoffizielle Fraktionsdisziplin existiert. Sie sichert die Effektivität einer Demokratie. Zudem werden die einzelnen Themen dadurch tiefgründig betrachtet und hinter jeder Entscheidung steht eine gewisse Expertise. Dennoch steht die Praxis strenggenommen im Konflikt mit dem Grundgesetz, da Abgeordnete teilweise gegen ihre eigene Überzeugung abstimmen müssen.
Quellen und weiterführende Literatur:
- Kontroverse Gewissensfrage
- Definition und Bedeutung
- Koalitionsvertrag (Seite 138)
- Artikel 38 GG
- Artikel 46 GG