Hannah Arendt – Ikone der Geistesgeschichte – Politik.EU

Hannah Arendt – Ikone der Geistesgeschichte

Hannah Arendt – Ikone der Geistesgeschichte. Als Zeugin der großen Umwälzungen ihrer Epoche entwickelte sie sich zu eine der schärfsten Beobachterinnen ihres Jahrhunderts. Sie war eine Außenseiterin, die auf dem politischen Spektrum nicht einordbar zu sein schien und von links und rechts gleichermaßen kritisiert wurde. Sie war eine dem akademischen Denken gegenüber kritisch eingestellte Skeptikerin, deren Denken stets politisch und angreifbar gewesen ist. Die Ursprünge politischer Gewalt, die unbegreifliche Dummheit des Bösen und die gelebte Überzeugung, mit Gründen zu streiten und nicht mit Hass. All das können wir lernen von der Prophetin der Freiheit: Hannah Arendt.

Hannah Arendt – Ikone der Geistesgeschichte

 

Hannah Arendt – Biographie

1906 wird Hannah Arendt geboren. Sie wächst unter wohlhabenden und progressiv eingestellten Eltern des deutsch-jüdischen Bürgertums auf. Sie besucht das Gymnasium in Königsberg, gilt als hochbegabt und eigenwillig. Sie wird nach einem Aufruf zum Unterrichtsboykott von der Schule verwiesen, legt das Abitur extern ab und besucht zeitglich Vorlesungen an der Universität Berlin. 1924 beginnt Arendt dann das Studium der Philosophie, Theologie und griechischen Philologie in Marburg. Im gleichen Jahr beginnt ihre Liebesbeziehung mit Martin Heidegger. 1928 promoviert Arendt zum Dr. phil. nachdem sie unter Husserl in Freiburg und unter Jaspers in Heidelberg studierte.

1929 lernt sie Günter Stern kennen, den sie im gleichen Jahr heiratet. 4 Jahre später flieht Stern nach Paris, während Arendt in Berlin bleibt und Zeugnisse antisemitischer Propaganda in der Presse sammelt. Nachdem sie verhaftet und anschließen auf Grund von Mangel von Beweisen freigelassen wird, flieht sie ebenfalls nach Paris. 1937 wird Arendt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, sie scheidet sich von Günter Stern und heiratet drei Jahre später Heinrich Blücher in Paris, mit dem sie 1941 nach New York flieht. 1951 erhält sie die amerikanische Staatsbürgerschaft und veröffentlicht ihr erstes großes Hauptwerk: „The Origins of Totalitarism“. 1958 folgt die Veröffentlichung ihres zweiten großen Haptwerkes:  „The Human Condition“

Erst folgen Gastprofessuren an der University of Princeton und an der Columbia University, dann nimm Arendt 1961 am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem als Reporterin für den New Yorker teil. Sie veröffentlicht fünf Artikel über den Eichmann Prozess im New Yorker, der eine lange und kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit entfacht. 1967 bis 1975 ist sie Professorin an der New York New School for Social Research. 1975 4. Dezember erliegt Hannah Arendt einem Herzinfarkt.

Hannah Arendt und ihre Werke. Wir stellen drei große Werke Arendts vor, doch sollte berücksichtigt werden, dass Hannah Arendt auch weitere wichtige Werke verfasste. Zu nennen wären hier zum Beispiel: „Über die Revolution“ oder „Macht und Gewalt“. Ebenfalls zu empfehlende Lektüre sind ihre Briefwechsel mit Martin Heidegger, Walter Benjamin oder Mary McCarthy. 

 

Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (The Origins of Totalitarianism)

Die totalitären Bewegungen sind Massenorganisationen atomisierter und isolierter Individuen, von denen sie eine, verglichen mit anderen Parteien und Bewegungen, unerhörte Ergebenheit und „Treue“ verlangen und erhalten können“

An diesem transdisziplinäres Werk, das historische Erzählung, philosophische Reflexion und historiografische Analyse in einem ist, kann man Arendts Ablehnung gegenüber der traditionellen wissenschaftlichen Methodik erkennen. Für Arendt war die Philosophie in den 1930er Jahren eine gefährliche und dem praktischen Leben entzogene Wissenschaft geworden. Philosophen wie Heidegger beanspruchten, eine Gesamtlösung für die existentiellen Fragen der Menschheit zu finden und wendeten sich vom politischen Denken und Handeln ab. Fast alle akademischen Philosophen passten sich der Diktatur des Nazi- Regimes leicht an. Diesen Bankrott der europäischen Intellektuellen empfindet Arendt als bodenlose Hybris. Die Mischung der Methodik, die Arendt in diesem Werk wählt, kann sich selbst als Methodenkritik gegen die traditionellen Philosophie lesen.

Arendt analysiert im ersten Teil des Werkes den Zerfall der politischen und gesellschaftlichen Strukturen im 20. Jahrhundert. Die Grundthese, auf die Arendts gesamte Reflexion im ersten Kapitel aufbaut, kann man wie folgend zusammenfassen: Die europäischen bürgerlichen Gesellschaften zerstörten sich von innen heraus, indem sich die zersplitterten Parteien gegenseitig schwächten. Zurück blieben orientierungslose Massen, die unfähig waren, sich selbst politisch zu organisieren, aber durch Propaganda manipuliert und mobilisiert wurden.

Nach dieser Analyse vergleicht Arendt die verschiedenen Formen politischer Unterdrückung mit der Form der totalen Herrschaft, und erörtert die zentrale Stellung von Terror und Ideologie im totalitären System. Die totale Herrschaft unterscheidet sich nach Arendt nämlich grundlegend von anderen Herrschaftsformen. Während autoritäre oder tyrannische Herrschaft nur den Gewinn von politischer Macht intendieren, geht es dem totalitären Regime darüber hinaus darum, alle Bereiche des Individuums zu beherrschen, strebt also demnach eine Durchideologisierung der Gesellschaft an.

In ihrem Erklärungsmodell unterscheidet Arendt drei Formen der unterdrückerischen Herrschaftsformen:

Die autoritären Herrschaften (Despotismus, absolute Monarchie, Oligarchie) weisen eine pyramidenförmige Gesellschaftsstruktur auf.

An der Spitze der Herrschaft steht der Monarch oder eine kleine Machtelite, die ihre Herrschaft durch ein göttliches oder natürliches Gesetz legitimiert. So entsteht eine hierarchische Gesellschaft, die die fraglose Anerkennung derer fordert, denen Gehorsam abverlangt wird. Die autoritäre Herrschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die persönliche Autorität des Herrschers als Regierungsform ausreicht, ohne Zwang oder Überredung anwenden zu müssen, da die Quelle der Legitimation immer außerhalb der Machtsphäre derer liegt, die gerade die Macht innehaben. Als Beispiel wäre die absolute Monarchie zu nennen.

Die tyrannische Herrschaft weist eine zersplitterte Gesellschaftsstruktur auf.

Die Masse bildet die unterste Basis, an der Spitze gibt es einen Machthaber. Dazwischen liegt das rechtsfreie Chaos. Die Herrschaftsgruppe legitimiert ihre Macht durch Gewaltausübung und Zwang im Namen der politischen und öffentlichen Ordnung. Die tyrannische Herrschaft ist eine egalitäre Form der Herrschaft, der Tyrann herrscht als einzelner über alle, die namenlos, machtlos und gleich sind.

Die Gesellschaftsstruktur der totalitären Herrschaft ist kreisförmig.

Im Zentrum steht ein ideologischer Führer, der weder von oben noch von außen herrscht, sondern aus dem Inneren des Staatsapparates. Außenherum bilden Führungselite und politische Polizei, Parteibürokraten, Parteimitglieder und Sympathisanten die äußeren Ringe der Machtstruktur. Die Art der Legitimierung ist ideologisch. Die totalitäre Herrschaft verletzt alles positiv gesetzte Recht, auch Gesetze, die sie selbst erlassen hat, an die Stelle des positiv gesetzten Rechts treten „Gesetze der Geschichte“ oder „Rechte der Natur“ (im Nationalsozialismus war es das Naturrecht der „Rasse“, bei den Bolschewisten war es der Glaube an den Klassenkampf als Motor der Geschichte). Das Wesen der totalitären Regierungsform ist der Terror, der aber anders als bei der tyrannischen Herrschaftsform nicht willkürlich nach den Regeln des Tyrann sondern in Übereinstimmung mit außermenschlichen Prozessen also mit den übergeordneten Gesetzen der Geschichte oder Natur vollzogen wird.

Abschließend stellt Arendt folgendes fest: Der Hauptunterschied zwischen totalitärer Herrschaft und allen anderen Herrschaftsformen ist die Durchideologisierung der gesamten Gesellschaft. Totalitäre Regime richten ihren Terror nicht nur gegen die Systemfeinde, sondern auch gegen ihre eigenen Anhänger, weil sie sich gegen Macht und also auch gegen die organisierte Macht möglicher Anhänger richtet.

 

Vita activa oder vom tätigen Leben (The human condition)

Was ich vorschlage, ist etwas sehr einfaches, es geht mir um nichts mehr, als dem nachzudenken, was wir eigentlich tun, wenn wir tätig sind.“

In dem grundlegendsten und streitbar wichtigsten Werk Arendts geht sie der Frage nach, was wir tun, wenn wir tätig sind. Der Ausgangsfrage folgend erörtert sie die Grundbedingungen menschlicher Existenz. Arendts Idee ist richtungsweisend und neu.

Seit der Antike ist es philosophische Tradition, die am Denken ausgerichtete „vita contemplativa“ als höchste Form menschlicher Existenz zu begreifen. Arendt bleibt zwar den Begrifflichkeiten der vita activa (das tätige Leben/Handeln) und der vita contemplativa (das denkende Leben) treu, verwirft aber die traditionelle Annahme, dass die Kontemplation höher einzustufen sei als das Handeln, also alles Handeln nur Mittel zum Ziel der Kontemplation sei.

Arendts Überlegung klingt so genial wie simpel: Manche Menschen haben sich noch nie der Kontemplation hingegeben, während kein Mensch jemals sein ganzes Leben nur der Kontemplation hat widmen können. Daraus folgt, dass sich dem tätigen Leben keiner entziehen kann. Deswegen betont Arendt in ihrer neuen Philosophie die Bedeutung des tätigen Lebens, der vita activa. Sie unterscheidet drei Grundformen, in denen sich die Grundbedingungen der menschlichen Existenz ausdrücken: Arbeiten, Herstellen und Handeln

„Arbeiten, Herstellen und Handeln. Sie sind Grundtätigkeiten, weil jede von ihnen einer der Grundbedingungen entspricht, unter denen dem Geschlecht der Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist“

Die Arbeit

entspricht dem biologischen Prozess des menschlichen Körpers (Stoffwechsel, Wachstum) und erzeugt und zubereitet demnach Naturdinge, von denen sich der Mensch ernährt. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben und die Lebensnotwendigkeiten selbst, also der Befriedigung der vitalen Bedürfnisse.

Das Arbeiten ist nicht von Dauer, sondern ein stets fortlaufender Kreislauf des Stoffwechsels und ist somit seinem Charakter nach auf Wiederholung ausgelegt. Das liegt daran, dass der Mensch sich mit dem Material seiner Arbeit vermischt. Er verleibt sich das Resultat seiner Arbeit ein.

Das Herstellen

gibt das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens wieder, das sich der immerwährenden Natur des Gattungslebens und der individuellen Vergänglichkeit nicht fügen kann. Das Herstellen produziert eine künstliche Welt von Dingen, die sich den Naturdingen nicht einfach zugesellen, sondern sich von ihnen dadurch unterscheiden, dass sie der Natur bis zu einem gewissen Grade widerstehen und von den lebendigen Prozessen nicht einfach zerrieben werden.

Die Grundbedingung des Herstellens ist die Weltlichkeit, also die Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität. Anders als bei der Arbeit ist das Herstellen das Werk unserer Hände, nicht unseres Körpers, denn man bearbeitet vorgegebenes Material zum Zwecke der Herstellung. Das Resultat ist die Vielfalt von Dingen, deren Gesamtsumme sich zu der von Menschen erbauten Welt zusammenfügt. Die hergestellten Dinge sind von Dauer, die Herstellung selbst ist nicht zyklisch sondern zielgerichtet.

Das Handeln

ist die einzige Tätigkeit, die sich ohne die Vermittlung von Materie, also Material und Dingen direkt zwischen den Menschen abspielt. Die Grundbedingung, die ihr entspricht ist das Faktum der Pluralität, also die Tatsache, dass nicht ein Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern.

Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen, aber in der sich niemand gleicht, geglichen hat oder gleichen wird.

Das Handeln, zu dem ebenfalls das Sprechen gehört, richtet sich an andere. Das Resultat sind erzählbare Geschichten. Diese Geschichten sind Voraussetzung dafür, dass es überhaupt so etwas gibt wie Geschichte im Dasein der Menschheit. Das Handeln ist als menschliche Spezifika also Voraussetzung für die Geschichtlichkeit des Menschengeschlechts.

Fassen wir zusammen: Die Arbeit sichert das Am-Leben-bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung. Das Herstellen errichtet eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der Menschen in gewissem Maße unabhängig ist. Das Handeln dient der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen, schafft also die Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für Geschichte

Alle drei Grundtätigkeiten und die ihnen entsprechenden Bedingungen sind nun nochmals in der allgemeinsten Bedingtheit menschlichen Lebens verankert, dass es nämlich durch Geburt zur Welt kommt und durch Tod aus ihr wieder verschwindet. Alle Tätigkeiten haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Welt dem ständigen Zufluss von Neuankömmlingen, die als Fremdlinge in sie hereingeboren werden, gewachsen und auf ihn vorbereitet bleibt.

Deshalb betont Arendt auch die Geburt als philosophische Idee: Laut Arendt wendet sich die Philosophie entgegen Heidegger nicht der Sterblichkeit, sondern der Geburt zu.

Heidegger, ein deutscher Philosoph begründete mit seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927) die philosophische Sozialontologie und beeinflusste langfristig die abendländische Philosophie. In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass sich Heidegger im Dritten Reich mit Begeisterung für das engagierte, was er die „nationalsozialistische Revolution“ nannte. So blieb Arendts Verhältnis zu Heidegger ambivalent und facettenreich, da sie erst Schülerin unter ihm, dann seine Geliebte war und später ein auch philosophisch distanzierteres Verhältnis zu ihm hatte.

Somit kann Arendts Philosophie auch als Gegenentwurf zu Heidegger gelesen werden, der das Dasein des Menschen als „Sein zum Tode“ beschreibt. Heidegger behauptet, der Tod sei nicht nur ein einmaliges Ereignis am Ende des Daseins, sondern er bestimmt das Dasein auch in seinem Leben, denn er steckt den vor dem Dasein liegenden Entscheidungsraum ab. Arendts Philosophie ist eine Philosophie der Freiheit – Freiheit verstanden als Fähigkeit, einen Neuanfang zu machen, etwas Neues, Unvorhergesehenes zu beginnen.

Geburt ist der grundlegendste Neuanfang im Kern des menschlichen Lebens, sie ist die Fähigkeit, Vorhergesagtes zu durchkreuzen und die Kausalkette zu durchbrechen. Somit steckt in jedem Neugeborenen die Hoffnung, auf eine stets mögliche Rettung der Welt. In jeder Geburt steckt die Kraft des Neubeginns, die Kraft, dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf. So legt Arendt Wert auf das andere Grenzerlebnis der menschlichen Existenz: Auf die Geburt. Jeder Mensch ist selbst ein Anfang,

Handeln ist an die Grundbedingung der Natalität enger verbunden als Arbeiten und Herstellen. Der Neubeginn, der mit jeder Geburt in die Welt kommt, kann sich in der Welt nur darum zur Geltung bringen, weil dem Neuankömmling die Fähigkeit zukommt, selbst einen neuen Anfang zu machen, das heißt zu handeln. Somit äußert sich im Handeln die von der Geburt herrührende grundsätzliche menschliche Freiheit des Neuanfangs und zugleich die Individualität jedes Einzelnen.

 

Eichmann in Jerusalem. A report on the Banality of Evil

(Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen)

„Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert. Tief aber, und radikal ist immer nur das Gute.“

Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht

Arendt nimmt 1961 am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teil. So nimmt sie Eichmann, der während der Nazi-Zeit SS-Obersturmbandanführer und somit organisatorisch verantwortlich für die „Endlösung der Judenfrage“ war, als Anlass, um über die Natur des Bösen nachzudenken.

These Arendts

Arendt geht einer Kernthese auf den Grund, demnach das Böse nicht in dämonischer, also absoluter und dem menschlichen Zugriff versagten Form auftrete, sondern vielmehr banal und oberflächlich sei. Darauf aufbauend entwickelt Arendt den philosophisch umstrittenen Gedanken, dass die Natur des Bösen genauso auf Mangel an Überlegung wie auf bösem Willen beruhe. Kurz: Das Böse ist letztlich weder satanistisch und dämonisch noch als tief und radikal zu beschreiben, sondern immer nur als oberflächlich und banal, so Arendt. Ihre Hautabsicht ist es also, die Legende von der großen dämonischen Macht des Bösen zu zerstören.

Arendt veröffentlicht ihre Prozessberichte für den The New Yorker. Ihre These, dass Eichmann ein banaler, gedankenloser Beamter sei löst intensive Debatten über den Holocaust und die Naziverbrechen aus. 1963 erscheint dann das Werk „Eichmann in Jerusalem“.

Respektive

Ihre These scheint heute in Bezug auf Eichmann durch Dokumente und geschichtliche Aufarbeitung widerlegt. Eichmann war kein gedankenloser Bürokrat, sondern trieb mit Absicht die Vernichtung europäischer Juden voran. Er verstellte sich jedoch vor Gericht als banalen Beamten, um,  seiner Verteidigungsstrategie entsprechend, auf eine mildere Strafe zu hoffen. Heute jedoch gibt es, auch in Form eines Interviews mit Eichmann eine veränderte Quellenlage, die beweisen, dass Eichmann seine Rolle bewusst gewählt und vorbereitet hatte. Dennoch ist das Werk eines der wichtigsten der Moralphilosophie des 20. Jahrhunderts. Die Banalität des Bösen bleibt ein wichtiges und umstrittenes Erklärungsmodell für das Phänomen des Bösen und fordert auch heute noch zum Nachdenken heraus.

Fazit

Der oftmals geäußerte Vorwurf, Arendt verteidige die Täter, während sie die Opfer beschuldige, stimmt unserer Ansicht nach nicht. Was Arendt verteidigt ist eine Welt, in der es jemanden wie Eichmann geben konnte. Die Banalität, die Gedankenlosigkeit bleibt als Erklärungsmodell des Bösen also aktuell. Wenn Arendts These stimmt, dann ist das Böse kein sich dem menschlichen Zugriff entziehende unvernünftige Beschädigung der Welt, sondern etwas, gegen das wir ankommen können, in dem wir tief und radikal denken. So spricht auch eine Hoffnung aus Arendts Werk: Wir können das Böse vermeiden, weil es nicht allumfassend ist, sondern die Gesamtheit der dummen menschlichen Handlungen.

 

Aktualität, Handeln in Freiheit und die Krise der Demokratie

Die Rolle der Bürger in der Demokratie

Für die Prophetin der Freiheit war das Ideal einer staatsbürgerlich engagierten Öffentlichkeit stets von zentraler Bedeutung. Die demokratische Vielzahl der Meinungen aushalten und diese im öffentlichen Diskurs produktiv aushandeln, das verkündet uns Hannah Arendt.

Doch im Westen wächst das Gefühl einer Dysfunktionalität der repräsentativen Demokratie. Der Boden vibriert, die Stimmen die das Ende der Demokratie und die Niederlage des Westens verkünden werden immer lauter. Was also tun? Fragen wir doch einfach eine der größten politischen Theoretikerinnen, die die Welt je gesehen hat.

Arendt selbst betonte stets die Schwächen der repräsentativen Demokratie, sie legte gegenüber diesem System eine grundlegende Skepsis an den Tag. Arendt sah die Gefahr an dem Sieg der repräsentativen Demokratie in den westlichen Ländern in einem gleichzeitigen Wohlstandszuwachs der Bourgeoisie, die eine ökonomische Elite bildet und private Angelegenheiten über das Gemeinwohl stellt. Das Grundproblem nach Arendt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die repräsentative Demokratie und ihre Probleme

In der repräsentativen Demokratie übertragen die Bürger das Recht auf Regieren, das eine zeitintensive Arbeit ist, auf Politiker. Die Bürger finanzieren also bezahlte Politiker und Politikerinnen, im Austausch gegen die Freiheit, ihre eigene Zeit im Privaten und mit Geldvermehrung zu verbringen. Die politische Freiheit wird „outgesourct“ , mit den heiklen Fragen politischer Macht müssen sich die Bürger nur noch vor den Wahlen beschäftigen. Das Bürgertum lagert das Regieren aus wie ein Unternehmen einer ihrer Produktionsabläufe. So entsteht eine bürgerliche Oberschicht, das mit den Fragen des Regierens nichts zu tun haben möchte, aber erwartet, dass die Regierung sie im ökonomischen Entwicklungsprozess der Unternehmen unterstützt und bevorzugt, und Armee und Polizei für Recht und Ordnung sorgen. Letztlich geht die öffentliche politische Macht verloren. Und alles nur, weil das Individuum seine politische Macht abgibt.

„Gegen diese auf das Individuum bezogene machtskeptische Haltung der liberalen Demokratie wehrt sich Arendt“

Sie traut uns etwas zu. Verantwortungsbewusste Macht sei ein notwendiger Bestandteil verantwortungsvoller Politik und sollte daher nicht eingeschränkt, sondern ausgeweitet werden, so Arendt. Arendts Begriff der Macht ist ein positiver, sie grenzt ihn in ihrem Essay „Macht und Gewalt“ klar vom Begriff der Gewalt ab, die Zwangsanwendung für politische Zwecke ist und mit der Macht nichts zu tun hat. Macht aber entspreche der menschlichen Fähigkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln, so Arendt. Einfach ausgedrückt: Gewalt ist für Schwächlinge, Macht ist cool (sofern sie gelingt).

Der erste Tipp Arendts lautet also übersetzt in unsere Zeit: Traut euch etwas zu! Jeder Einzelne muss seine individuelle politische Macht wahrnehmen. Nur so schaffen wir verantwortungsbewusste Staatsbürger, freie öffentliche Diskursräume und langfristig funktionierende Institutionen. Einmal im Jahr ein Kreuzchen auf dem Wahlschein zu machen reicht laut Arendt nicht.

Demokratie heißt, die gestalterische Macht liegt beim Volk. Also bei jedem von uns. Macht bedeutet Freiheit und muss gestärkt werden. Und dafür braucht es eine neue Konzeption des Regierens, die die Macht ausweitet, ohne in die Tyrannei zu führen. Denn das wäre sicherlich zum Problem in Arendts Rat an uns geworden, hätte sie nicht auch für dieses Problem eine Lösung.

Machtzuwachs, kann auch gefährlich sein und in autoritären Herrschaftsgefügen enden. Deshalb Arendts Ausweg: Zentrales Axiom in ihrer Argumentation ist die Vervielfältigung der Machtquellen, um Übermacht zu verhindern, Macht muss Macht gegenüberstehen. Um Tyrannei zu verhindern, schlägt sie also als zweiten Tipp ein dezentrale, föderalistische Staatsstruktur vor.

Über die Entstehung autoritärer Bewegungen

Der heutige Zulauf autoritärer Bewegungen verdankt sich zum Teil diesem beschriebenen Versagen von Macht. Aus diesem Scheitern entsteht jedoch eine revolutionäre Situation, sagt Hannah Arendt. Die westlichen Demokratien, das steht zweifelsfrei fest, befinden sich momentan seit mehreren Jahrzehnten in einer revolutionären Situation. Der Ausgang ist ungewiss, keiner weiß, ob es zu einer Veränderung kommen wird, oder wie diese aussehen wird.

Denn eine revolutionäre Situation muss nicht zur Revolution führen, sondern kann auch zur Konterrevolution führen, und damit zur Diktatur. Oder aber es entsteht lediglich schlechte Stimmung, ein wütender Mob, der sich nicht politisch organisieren kann. Die Veränderung bleibt aus und es kommt zur Stagnation. Ein neues Erlebnis von Macht, dass sich in einem neuen Konzept des Regierens festschreiben lässt ist aber notwendig, um die repräsentative Demokratie aus der Krise zu steuern.

Fazit

Freiheit bedeutet Verantwortung. Nehmt sie wahr. Das ist der Tipp, den Hannah Arendt uns mitgibt auf den Weg ins Ungewisse. Und jetzt hören wir ihre Texte nicht mehr nur zu uns flüstern, sie schreien uns förmlich an. Arendt sagt uns nicht, wo wir hingehen müssen und wie wir dorthin gelangen. Doch in jeder Zeile ihres Gesamtwerkes steckt ein kleiner Wegweiser wie es funktionieren könnte. Arendt zeigt uns, was möglich ist in dieser revolutionären Situation. Jetzt liegt es an uns, der Großen Vordenkerin, der Wegbereiterin, der Außenseiterin ihren Respekt zu zollen, indem wir ihre versteckten Wegweiser finden und in die Tat umsetzen. Die revolutionäre Situation liegt ausgebreitet vor uns. Wo hin gehen wir? Es ist unsere Aufgabe, den nächsten Schritt zu gehen.

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