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Nina Chubas wundersame Wachstumswelt

In „Wildberry Lillet“ Und „Alles gleich“ reproduziert die Künstlerin Nina Chuba eine diffuse Form der kapitalistischen Wachstumsideologie: Nina Chubas wundersame Wachstumswelt

 

 

Nina Chuba gilt als die große Newcomerin des Jahres. Auch wenn ihr Hype schon etwas länger andauert schießt sie auf der Trendkurve mit ihrem Song „Wildberry Lillet“ in ungeahnte Höhen und dominiert den Algorithmus auf TikTok und Instagram. Seit 2021 veröffentlicht die gebürtige Hamburgerin eine Vielzahl von Singles, mit denen sie als „the next big thing“ im Deutschrap gilt. Höchste Zeit also, dass wir ihre Texte einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen.

In ihrem, vom Hip-Hop Mainstream auf TikTok gehypten Song „Wildberry Lillet“ reproduziert die Künstlerin die kapitalistische Wachstumsideologie. Zunächst sollte jedoch festgehalten werden, dass es bei dieser Analyse nicht um die Kritik an der Musik gehen soll, sondern um die Ideologie, die sich hinter dem reinen Handwerk an Musik verbirgt.

Wir müssen begreifen, dass ideologische Aussagen nicht immer etwas intentionales und deshalb auch nicht immer leicht erkennbar sind, weil sie meist so in uns eingedrungen sind, dass die ideologische Funktion der Musik unabsichtlich erfüllt wird. Diesen Prämissen folgend ist diese Analyse keine Kritik an der Kunst Nina Chubas, sondern ein Analyseversuch, warum der Song gerade auf den social media Plattformen so beliebt ist.

 

Auszüge aus „WILDBERRY LILLET“

Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel
Ich hab Hunger, also nehm‘ ich mir alles vom Buffet

Schon hier wird deutlich, wie stark der Song ideologisch aufgeladen ist.

Ich will nach oben, ich will zum Mars
Spaceship mit Panorama

 Bezüge zu den sich selbst als volksnahe Philanthropen präsentierenden Silicon Valley Unternehmern wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg liegen hier auf der Hand.

Musk und Bezos, die sich ein Wettkampf um die Erschließung des Mars liefern, vertreten Formen des effektiven Altruismus. Beide Unternehmer umgehen demokratische und institutionelle Prozesse, um mit ihrem Geld dem „Gemeinwohl“ zu dienen. Das sei effektiver und zukunftsgewandter, so die Begründung. Alle Hoffnung richtet sich auf die Figur des innovativen Unternehmers, der dann darüber entscheidet, was gut ist und wie die Zukunft aussehen soll. Der demokratische Konflikt und die gesellschaftliche Verhandlung werden somit umgangen. So lässt sich das kapitalistische Gewinnstreben der Unternehmer mit der Rettung der Menschheit verbinden.

Diese Denkart umgeht jedoch ihre eigenen Bedingungen einer ungerechten, kapitalistischen Weltordnung, die selbst das größte Hemmnis für das Gemeinwohl darstellt. Was als Gemeinwohl propagiert wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als partikulares Interesse. Der altruistische Liberalismus negiert seine Widersprüche. In der Leugnung des konkreten Widerspruchs zwischen Kapitalismus und demokratischem Gemeinwohl steckt ein fundamental anti-politischer Gestus. Wenn sich diese Art des Solutionismus mit dem Transhumanismus der Technikanthropologen vermischt, die Glück und Leid eine universelle Währung mithilfe mathematischer Währungen geben, dann ist der gefährliche Sprung zu einem neuen „Übermenschen“ kein großer mehr.

Die reichsten Männer der Welt treiben also ihre Geschäftsmodelle auf die Spitze. Sei es durch die geplante Besiedelung des Mars oder durch die Erschaffung einer virtuellen Realität. In dieser Art des extraterrestrischen Extremkapitalismus scheinen Börsenkurse weniger von Profiten als von Science-Fiction-Fantasien getrieben zu sein. Wenn Nina Chuba singt, sie möchte den Mars mit einem spaceship bereisen, dann gibt sie vielleicht noch nicht die diffusen Allmachtstheorien von Musk und Bezos wieder, doch zumindest zeigt sie uns, dass die Narrative des Silicon Valley und die der modernen Popkultur auf den sozialen Medien auf subtile Art und Weise sehr viel ähnlicher sind, als vorerst angenommen.

Kaufe die Welt und keiner bezahlt

Private Jet in der Garage und Flamingos in mei’m Garten

 Selbstverständlich bezahlt jemand für das luxuriöse Leben reicher Menschen. Zum einen ist das die verarmte Arbeiterklasse (im globalen Süden), die das ökonomische Kapital erwirtschaftet, zum anderen bezahlen zukünftige Generationen die Privatjets und Flamingos im Garten, denn damit die Lebensform der Reichen, die ja eine Art des extrem erhöhten Stoffwechsels darstellt, überhaupt finanziert werden kann, müssen Ressourcen des Planeten ausgebeutet werden. Die Folgen des Klimawandels werden also abgewickelt beziehungsweise verlagert auf zukünftige Generationen, die das Leben der Superreichen finanzieren. Komisch nur, dass Nina Chuba, die der jetzigen jungen Generation angehört, weiterhin von Privatjets singt, und bei jungen Menschen so viel Gehör findet.

Will am Tisch die besten Karten
Ich will haben, haben, haben

Ich will Lila, das sich stapelt, ich will Nina auf Plakaten

 Private Spa auf vier Etagen, in Champagner-Becken baden
Will für immer alles gratis
Ich will haben, haben, haben

Es ist sehr deutlich, dass Nina Chuba hier eine gewisse Art der Eigentumsideologie verinnerlicht hat. Doch natürlich haben wir es hier mit einer Übertreibung zu tun. In ihrem Privatleben wird die Künstlerin sicherlich nicht in Champagner baden. Allerdings ist diese Übertreibung auch kein gezielt eingesetztes Stilmittel. Im Text finden sich keine Stellen, in der sarkastische Rhetorik oder Ironie verwendet wird. Eine Satire ist dieser Song nicht, dafür ist er nicht bissig und übertrieben genug. Nein, der Text übertreibt überhaupt nicht, sondern spiegelt nur die Lebensrealität der Superreichen wider.

In der Musik, die ja eine Form der Kunst ist, könnte aber auch alles anders sein. Denn sie ist Fiktion. Und deshalb müssen wir uns die Frage stellen, warum Nina Chuba gerade den Status quo einer veralteten Wachstumsideologie einfach reproduziert. Anstatt des „mehr Habens“ könnte sie ja auch soziale Ungleichheiten adressieren. Nun, vermutlich handeln Nina Chubas Texte von Private Jets und Geld, weil es sich am besten verkauft.

Der Hype, den sie mit diesem Song ausgelöst hat, würde diese Hypothese zumindest bestätigen. Immer mehr Künstler produzieren so, dass ihre Lieder in den Spotify und TikTok Algorithmen der Plattformuser auftauchen. Viele Künstler, wenn man sie denn so nennen mag, gerade aus dem Rap und Hip-Hop Bereich, singen über teure Uhren und schnelle Autos, wir könnten viele Interpreten zitieren und analysieren. Das an sich ist auch erstmal kein Problem. Es ist nur künstlerisch nicht relevant. Und auch bei Nina Chuba mag zwar die Musik gut sein, doch müssen wir uns fragen, ob das noch Kunst ist. Chubas Songs haben nichts radikales, haben keine Ecken oder Kanten an sich. Sie verwirren, verstören und verstimmen nicht.

Warum aber dann eine Liedanalyse über Nina Chubas Songs schreiben, wenn wir feststellen, dass sie algorithmische Serienware produziert, wie viele andere Interpreten auch? Bei Nina Chuba wird eine Analyse deshalb interessant, weil sie in einem anderen Song etwas behauptet, dass der Idee des aggressiven kapitalistischen Wachstums auf den ersten Blick radikal widerspricht und somit ein Prinzipienwiderspruch entsteht. In dem Song „Alles gleich“ singt Nina Chuba, dass trotz der Berühmtheit und des Geldes am Ende alles gleich bleibt. Geld ist nicht so wichtig wie die alten Freundschaften, Konsum von Luxusartikeln und Drogen macht nicht langfristig glücklich und ob man im Taxi oder in der Bahn weint ist am Ende egal, denn es bleibt alles gleich. Das ist die zusammengefasste Aussage des Songs.

 

Auszüge aus „Alles gleich“

Am Ende bleibt das alles gleich
Früher in der U-Bahn, heute im Uber geweint

Hätt‘ alles gegeben für ’n Stück von diesem Hype
Doch ich weiß jetzt, am Ende bleib‘ ich gleich

Die Sorgen von gestern eliminiert, ja, das Money stimmt
Doch trotzdem geht’s mir nicht viel besser in grauen Givenchy-Pants

 Sollt‘ eigentlich glücklicher sein, aber ich weiß

Am Ende bleibt das alles gleich


Kippe noch mehr rotes Dopamin in mein Glas
Denn es ist schon wieder halbleer
Erhöhe die Dosis von Tag zu Tag
Aber mein Herz bleibt immer genau gleich schwer
Gestern zu wenig und jetzt ist zu viel
Trotzdem fließen da Tränen, das ändert sich nie

Zunächst einmal können wir die Beobachtung aufstellen, dass die Aussage dieses Liedes in Widerspruch zu „Wildberry Lillet“ steht. In dem einen Song singt sie darüber, dass sie mehr Wohlstand haben möchte, der andere handelt davon, dass sie trotz des Wohlstandszuwachses nicht glücklicher wird. Doch dieser scheinbare Prinzipienwiderspruch wird gelöst, wenn wir uns klar machen, welche Ideologie auch in diesem Songtext zu finden ist.

Denn „Alles gleich“ ist eine gefährliche Pseudokritik am Konsum, die viel gefährlicher ist als das bloße Aufgehen in Konsum, wie es in Wildberry Lillet“ der Fall ist. Allgemein verhält es sich so, dass Konsumkritik, die man nicht mit Kapitalismuskritik verwechseln sollte, zwar weit verbreitet ist, doch in aller Regel nicht besonders intelligent. Das ist auch hier der Fall. Denn es ist schon ein Kunststück, dass in dem Song permanent scheinbar kritisch Konsum und Besitz verhandelt wird, ohne einmal das kapitalistische System, das allem zu Grunde liegt, anzusprechen.

So ist Nina Chuba ein Fisch im Wasser, der das Wasser nicht sieht. Sie singt zwar, dass es ihr in Givenchy Hosen auch nicht besser gehe, aber Themen wie Überproduktion, ein mögliches Ende der Wachstumstheorien oder ausbeuterische Verhältnisse werden im Text nicht angesprochen. Viel mehr flüchtet sich Nina Chuba in eine dümmliche Konsumkritik, die selbst konsumistisch ist. Denn der Luxus heutzutage heißt eben nicht mehr Glitzer und Kitsch, sondern Minimalismus.

Der Minimalismus selbst ist dekadent, der Konsumverzicht konsumistisch geworden. Denn die neueste Form des Kapitalismus fordert ein Verzicht auf reale Dinge. In der Erlebnisgesellschaft, in der es nicht mehr primär um den Konsum von Dingen sondern von Erlebnissen geht, sind Erfahrungen die neuen Statussymbole geworden. So ist heute der Besitz von Dingen viel subversiver als der vermeintliche Konsumverzicht.

Geld ist nicht wichtig, sagt uns dieser Song. Das war schon immer die Botschaft der Wenigen, die genug davon und die Angst haben, dass sie es mit den Vielen teilen müssen. Denn am Ende bleibt natürlich gar nichts gleich. Chuba sitzt nun im Uber. Die ökonomischen Realitäten haben sich für sie radikal verändert.

Zu den genannten Liedern:

 

 

 

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