(Grundlage dieses Essays bildet das Einführungsbuch “The globalization of world politics: an introduction to international relations von John Baylis, Steve Smith und Patricia Owens)
Globalisierung ist DAS Phänomen des 21. Jahrhunderts. Durch Fortschritte in der Technologisierung, Kommunikationssysteme und Transportsysteme, ist kaum noch ein Ort der Welt unerreichbar – und kann in wenigen Stunden besucht werden. Diese Dynamik hat unser gesellschaftliches Zusammenleben nachhaltig verändert und stellt unsere Politik und das Staatentum vor völlig neue Herausforderungen. In der globalisierten Welt erhält die Geopolitik eine ganz neue tiefe, mit neuen mächtigen Akteuren auf internationaler Ebene. Aber verdrängen diese neuen Akteure den Staat? – Dieses Essay zeigt, warum dies nicht so ganz richtig ist, und wir von ungleicher Globalisierung sprechen müssten!
Inhaltsverzeichnis
- Über verschiedene Perspektiven auf Globalisierung
- Über den Begriff der Globalisierung
- Über die Rolle des Staates in der modernen Welt
- Über die Akteure in der internationalen Politik
- Über die ungleiche Globalisierung
- Quellen
Über verschiedene Perspektiven auf Globalisierung
Auch wenn der Begriff der Globalisierung im allgemeinen Sprachgebrauch fast schon inflationär verwendet wird, ist er dennoch nicht unumstritten. Kritiker, meist aus der realistischen Schule, zweifeln daran, dass es sich hierbei um ein völlig neues Konzept handelt: Staaten haben doch schon immer miteinander interagiert und gehandelt.
Sie stören sich also daran, dass der Begriff eine neue Dynamik erkennen lässt, die wiederum eine eigene Begrifflichkeit verdient. Insbesondere der Realismus argumentiert, dass sich die Geopolitik der Staaten verbunden mit dem anarchischen internationalem System letztendlich immer das staatliche Verhalten lenkt.
Die extreme Gegenposition dazu könnte als ‘Hyperglobalisten‘ (Hyperglobalists) bezeichnet werden. Sie sehen in der Globalisierung eine neue Form der politischen Organisationsform, die den Staat früher oder später ablösen wird. Dabei verweisen sie darauf, dass der Staat zunehmend nicht mehr in der Lage ist die ökonomische und soziale Kontrolle auszuüben, also innerhalb seiner Kernaufgaben an Bedeutung verliert. Perspektivisch läuft es also auf eine ‘Welt-Regierung’ hinaus, wie auch immer diese dann aussieht.
Eine dritte Position, die ‘Transformalistische‘, steht gewissermaßen zwischen diesen beiden Extrema. Sie erkennt Globalisierung als eine eigene Dynamik an, die nachhaltig unser Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenleben transformiert. Dabei ersetzt Globalisierung aber nicht den Staat als dominierende politische Organisationsform, sondern löst lediglich die klare Trennung zwischen der Innenpolitik und der Außenpolitik auf. Hinzu kommen weitere international agierende Akteure, wodurch wir es mit einer Transformation des Staates zu tun haben.
In diesem Essay werde ich, wie die Primärquelle (siehe Quellen), aus einer transformalistischen Perspektive argumentieren. Dabei geht es auch darum aufzeigen, warum Globalisierung viel mehr ist als nur internationale Interdependenz (ein System gegenseitiger Abhängigkeit), aber auch warum der Staat nicht zwingend an Bedeutung verliert. Beginnen wir aber mit einer ganz grundlegenden Frage: Wie lässt sich Globalisierung definierten und interpretieren?
Über den Begriff Globalisierung
Globalisierung bezeichnet einen strukturellen Wandel (auf allen gesellschaftlichen Ebenen mit sozialer Interaktion) von einer Welt mit klaren Grenzen hin zu sozialer Interaktion, die sich frei über Grenzen hinweg organisiert. Dabei ist es wichtig zu begreifen, dass es nicht ausschließlich um wirtschaftliche Zusammenarbeit (und Interdependenzen) geht, auch wenn diese selbstverständlich einen wichtigen Teil bilden. Dabei lassen sich drei Urheber oder Treiber dieser Entwicklung identifizieren.
Nummer eins umfasst moderne Kommunikationssysteme (Internet, Telefon, …) und Transportsysteme (Bahn, PKW, LKW, Flugzeug). Erst diese technologischen Errungenschaften sind es, die Echtzeit-Kommunikation und schnellen persönlichen Austausch über Grenzen hinweg ermöglichen – und damit auch unser Finanz- und Wirtschaftssystem.
Harvey (1989) greift die Technologie als Urheber auf und versteht Globalisierung als eine Zeit-Raum Kompression (‘time-space compression’). Für ihn schrumpft die Welt in dem Sinne, dass die Bedeutung von Distanz für das soziale Leben abnimmt.
Mit diesem Abnehmen der Bedeutung von Distanz kommt es auch zu einer gesellschaftlichen Organisation über Grenzen hinweg. In der internationalen Kommunikation gibt es (zumindest in den meisten Staaten) keine Grenzen zwischen Staaten, die Kommunikation ist international. Dies eröffnet einerseits soziale Möglichkeiten, aber auch wirtschaftliche.
Auf der Suche nach neuen Märkten und somit mehr Profite im kapitalistischen Wirtschaftssystem, hat sich die Wirtschaft als Treiber der Globalisierung herauskristallisiert. Für diesen Schritt zentral war die Öffnung (‘Freier Handel’) der Märkte durch die Politik, die die normativen Rahmenbedingungen für diese gesamte Entwicklung bereitstellt.
Aber wie bereits zuvor geschrieben, beschränkt sich die Globalisierung längst nicht mehr nur auf die ökonomischen Sektor. Tendenzen der Globalisierung kann in vielen Bereichen gezeigt werden, ob Sicherheit, Recht, Ökologie, Wissenschaft, Kultur oder Sozial.
Und obwohl es richtig ist, dass Staaten schon immer miteinander gehandelt und interagiert haben – also nie isolierte Einheiten waren, ist es diese Tiefe und Breite an Transformation der verschiedenen Lebensbereiche, die Globalisierung von vorherigen wechselseitigen Beziehungen unterscheidet. Globalisierung ist also viel tiefgründiger, es handelt sich um eine Transformation der Organisation der menschlichen Angelegenheiten.
Über die Rolle des Staates in einer globalisierten Welt
Den Beweis für die strukturelle Veränderung liefert das Verhältnis und die Bedeutung des souveränen Staates in der internationalen Politik. Denn die aktuelle zwischenstaatliche Kommunikation unterscheidet sich doch substanziell von der früherer Jahrhunderte. Politik bedeutet dabei die Beeinflussung von Entscheidungen und letztendlich von dem Ausüben von Macht in einem gewissen Bereich.
Die westfälische Ordnung legte 1648 die drei rechtlichen Grundsteine der Weltordnung mit knapp 200 klar abgegrenzten politischen Einheiten (Staaten), auch wenn das Konzept erst mit dem Zerfall der Imperien im 20. Jahrhundert universell übernommen wurde. Die drei Grundsteine waren nach Baylis, Smith und Owens (2017):
- Territorial: Die Menschheit ist grundlegend in territoriale politische Gemeinschaften, mit allgemein akzeptierten Grenzen aufgeteilt.
- Souveränität: Innerhalb seiner Grenzen hat der Staat beziehungsweise die Regierung den Anspruch auf die höchste und einzige politische und juristische Autorität.
- Unabhängigkeit: Ganz nach dem Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstherrschaft sind die Länder autonome Einheiten. Politische, soziale und wirtschaftliche Grenzen trennen die inländische Sphäre von der Außenwelt.
Traten diese souveränen, selbstbestimmenden und mit klaren Grenzen versehenen politischen Einheiten miteinander in Kontakt, taten sie dies über ihre außenpolitischen Vertreter. Es existierte also eine klare Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik, wobei die Staaten als Akteure den internationalen Raum bevölkerten. Das anarchische System war geprägt von einem Konzept der staatszentrierten Geopolitik.
Heute können wir eher einen disaggregated state betrachten, also die eigene Organisation und direkte Kommunikation von Vertretern eines Bereiches (z.B. Finanzminister von Staat 1 mit Finanzminister von Staat 2). Jeder Bereich der Politik hat mittlerweile seine eigenen zwischenstaatlichen Organisationen und Netzwerke, es kommt zu einem verschwimmen der Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik.
“the once bright line between domestic and foreign policy is blurring. If I could do anything to change the speech patterns of those of us in public life, I would like almost to stop hearing people talk about foreign policy and domestic policy, and instead start discussing economic policy, security policy, environmental policy.” (Ex-Präsident Bill Clinton in Cusimano; 2000)
Globalisierung bedeutet in diesem Kontext einerseits, dass lokale Politiker über Grenzen hinweg miteinander arbeiten, aber eben auch, dass die lokale Politik globale Auswirkungen haben kann. Bedenkt man jetzt noch, dass sich die Zivilgesellschaft und Unternehmen übernational organisieren und mächtige Interessengemeinschaften bilden – stellt sich die Frage ob nicht eher von (geozentrischer) Globalpolitik gesprochen werden kann.
Der Staat immer noch ein wichtiger Akteur, aber eben nicht mehr der Einzige. Globalisierung hat also die Machtverhältnisse innerhalb des internationalen Gefüges verändert. Die Frage ist: In welche Richtung, wie stark und welche Auswirkungen hat dies auf die vorherrschende politische Organisationsform (den souveränen Staat)?
Über die Akteure in der internationalen Politik
Das weltweite politische Netz wird im Englischen als ‘Global governance complex’ (etwa: globaler Governance Komplex) beschrieben und umfasst viele Akteure. Ganz grob lässt sich aber in drei Kategorien einteilen: Wirtschaftliche Akteure, zivilgesellschaftliche Akteure und staatliche Akteure.
Wirtschaftliche Akteure, wie global agierende Unternehmensgruppen (Bsp. Apple) haben im internationalen Raum eine großes politisches Gewicht, denn sie sind für knapp 33% des weltweiten Outputs, 70% des Welthandels und 80% der Investitionen verantwortlich. Diese Kapitalmacht können sie politisch einsetzen, denn sie entscheiden in welchen Standorten (Staaten) sie produzieren und forschen. Das heißt es gibt gewissermaßen einen großen Wettbewerb darum, die großen Firmen in das eigene Land zu locken.
Ein anderer zunehmend bedeutender Akteur sind internationale zivilgesellschaftliche Vereinigungen, also das Zusammenschließen von gleichdenkenden Menschen über Grenzen hinweg. Intuitiv denkt man dabei vermutlich and NGOs (z.B. Greenpeace), aber auch aktivistische Bewegungen (z.B. arabischer Frühling), kriminelle (z.B. Kartelle) und terroristische Vereinigungen (z.B. Al-Qaida) sind internationale zivilgesellschaftliche Vereinigungen. Ihre Macht fußt dabei auf der bereitgestellten Expertise, Lobbyarbeit, Masse, aber auch Anschläge.
Diese international vernetzten nicht-staatlichen Akteure stellen die souveränen Staaten vor ganz neue Probleme. Eine Auswahl:
- Globale Wirtschaftsakteure haben die Macht einzelne Staaten zu erpressen
- Es gibt ein großes Ungleichgewicht an Ressourcenverteilung zwischen den verschiedenen Interessensgruppen
- Einzelne staatliche Akteure können internationalen Terrorismus und Kriminalität nicht bekämpfen
- Es fehlt an Verantwortlichbarkeit, Transparenz und (demokratischer) Legitimation
Allein deshalb müssen sich Staaten schon international vernetzen und internationale Strukturen, Institutionen und Normen schaffen. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Schwäche eines Staates Konsequenzen auf der gesamten Welt haben kann. Letztendlich werden wir mit Problemen konfrontiert, die nur in zwischenstaatlicher Kooperation gelöst werden können (z.B. Klimawandel, Atombomben).
Die Ethablierung einer Vielzahl von ‘Intergovernmental Organisations’ (IGOs, etwa: zwischenstaatliche Organisationen), gibt den Staaten einerseits die Möglichkeit mit nicht-staatlichen Akteuren in Kontakt zu treten und dabei das Zepter in der Hand zu halten. Andererseits können sich dadurch einzelne Fachbereiche (Stichwort: disaggregated state) untereinander austauschen und koordinieren.
Aus der Sicht des einzelnen Staates geht es also nicht mehr nur um Konflikt und Kooperation mit anderen Staaten. Vielmehr steht eine Vielzahl differenzierterer Probleme im Raum: Wie sollen globale Enscheidungs-Strukturen und Prozesse aussehen? Wie lösen wir globale Probleme gemeinsam? Wie sichern wir die Sicherheit und Ordnung der Weltordnung? Der Autor Anthony MCGrew spricht in diesem Kontext von einer ‘Interpolaren Weltordnung’, denn die größten Mächte sind miteinander verbunden, aber unabhängig.
Es ist richtig, dass die Entscheidungen auf übernationaler Ebene Einfluss auf den einzelnen Staat, beziehungsweise Druck auf seine Souveränität ausüben, indem die Teilhabe an der internationalen Politik für Wohlstand unausweichlich ist, dafür aber gewisse Gesetzmäßigkeiten akzeptiert werden müssen (Verlust der Selbstbestimmung). Gleichzeitig haben einflussreiche Staaten (regional/global) die Möglichkeit, die internationale Gemeinschaft nach ihren Vorstellungen zu formen und zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Die Frage ist also nicht, verliert der Staat als homogene Masse an Bedeutung, sondern wer verliert zwischenstaatlich oder auch innerstaatlich in dieser Welt der (geozentristischen) Globalpolitik?
Über die ungleiche Globalisierung
Die Verlierer der Globalisierung können auf drei Ebenen betrachtet werden:
- staatliche Ebene
- (innerstaatlich) Institutionelle Ebene
- individuelle Ebene
Auf der staatlichen Ebene gibt es riesige Machtungleichgewichte zwischen Staaten. Umso mächtiger ein Staat umso eher kann er den zwischenstaatlichen Organisationen seinen Stempel aufdrücken, über diese Institutionen Macht über schwächere Staaten ausüben und selbst Sanktionen ignorieren oder umgehen. Ein Beispiel dafür ist der internationale Strafgerichtshof in Den Hague. Unter den erschienenen und verurteilten Verbrechern sind fast ausschließlich Afrikaner. Die USA und weitere mächtige Staaten erlauben sich sogar diesen gar nicht erst anzuerkennen.
Es scheint als würde für schwächere Staaten tatsächlich eine Art Welt-Regierung existieren, die in die Souveränität Dieser eingreift. Im Gegenzug dazu prägen die westlichen Demokratien (noch) die zwischenstaatlichen Organisationen nach ihren Vorstellungen.
Auf innerstaatlicher institutioneller Ebene gehören insbesondere die Bürokratie und Regierungen zu den Gewinnern, vor allem in Demokratien. Denn sie unterzeichnen internationale Verträge und nehmen an IGO-Foren Teil, häufig ohne das Parlament einbeziehen zu müssen. Somit haben sie die Möglichkeit Diese vor vollendete Tatsachen zu stellen, denn der Einfluss der Parlamente und Parteien ist gewissermaßen auf den Staat beschränkt.
Letztendlich reflektiert die individuelle Ebene das Ergebnis der staatlichen Ebene, denn die Reichen, Einflussreichen gewinnen, währen die Armen, Unterrepräsentierten verlieren. Betrachtet man die NGOs ist Kapital und persönlicher Einfluss das gewichtige Element auf internationaler Ebene.
Allgemein haben wir es in der globalisierten Welt aktuell mit einer Ermächtigung von Finanz- und Einflussstarken Eliten und Minderheiten zu tun, die das Leben der Mehrheit bestimmt. Internationale Organisationen sind häufig technokratische Strukturen, die viele mit legitimen Interessen an der Entscheidungsfindung ausschließen.
Zusammenfassend können wir also festhalten, dass die Globalisierung sich durch alle Lebensbereiche zieht und das gesellschaftliche Zusammenleben auf ganzer Ebene verändert. Als solches ist es durchaus ein neues Phänomen, dass sich nicht nur auf ökonomische Verschränkungen beschränkt. Gleichzeitig scheint die Globalisierung nicht den Staat als politische Organisationsform abzulösen, auch wenn eher von ungleicher Globalisierung gesprochen werden muss!
Quellen
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