Essay Journalismus

Von der politischen Exekutive in Demokratien

Eigenschaften der parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen

(Die Grundlage dieses Essays bildet das Kapitel ‘the political executive’ des Buches ‘Comparative Government And Policy: An Introduction’ von Rod Hague und Martin Harrop)

Mit der ‘political executive’, in der deutschen Fachsprache Gubernative, ist die Regierung als Teil der Exekutive gemeint. Dabei unterscheidet sie sich von der ‘bureaucracy’ (Administrative), wie zum Beispiel Polizei oder Behörden, indem sie neben dem Ausführen von “Gewalt”, auch an der Gesetzgebung beteiligt ist. In den Demokratien der Welt kann man dabei drei verschiedene Regierungssysteme beobachten. Dieser Essay beschäftigt sich mit den Charakteristiken der präsidentiellen, parlamentarischen und semipräsidentiellen Regierungssystemen.

Inhaltsübersicht

  1. Über das präsidentielle Regierungssystem
  2. Über das parlamentarische Regierungssystem
  3. Über die fünfte Französische Republik
  4. Quellen

Über das präsidentielle Regierungssystem 

Die Grundlage des präsidentiellen Regierungssystems ist die Unabhängigkeit der Exekutive von der Legislative. Beide werden in diesem System (in)direkt vom Volk gewählt und besitzen somit, unabhängig vom Anderen, die höchste Legitimität. Der Präsident (Kopf der Exekutive) verkörpert dabei sowohl die repräsentative Rolle des Staatsoberhaupts als auch die des politischen Führers. In einem solchen System wird dem Präsidenten viel Macht zugesprochen. 

Das Parlament (Legislative) ist aber auch nicht machtlos, denn die Macht ist in solchen Systemen ausgeglichen verteilt – Stichwort ‘Checks and Balances’. Im Gegensatz zum Präsidenten werden die Parlamentarier von lokalen Mehrheiten gewählt, und vertreten vorrangig deren Interessen. Möchte der Präsident seine Vorhaben (Gesetze) durch das Parlament bringen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich dort Mehrheiten zu suchen. Beide sind trotz der personellen Unabhängigkeit, politisch voneinander abhängig. 

Diese politische Interdependenz wird am Beispiel der Vereinigten Staaten deutlich: 

  • Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, aber dem Kongress unterliegt es Krieg zu erklären
  • Der Präsident kann Abkommen unterschreiben, aber nur mit dem Rat und der Zustimmung des Senates
  • Der Präsident hat ein Vetorecht bei Gesetzen, dieses kann aber durch den Kongress ausgehebelt werden 
  • Und der Kongress legt schlussendlich den Staatshaushalt fest

Das Zitat des Ex-Präsidenten Truman trifft es sehr gut: 

‘The principal power that the president has is to bring people in and try to persuade them to do what they ought to do without persuasion.’

– Truman

In anderen Worten: die Macht des Präsidenten liegt in seiner Überzeugungskraft. Er kann sich entweder direkt an die Abgeordneten widmen (‘Going Washington’), oder sie indirekt über die Öffentlichkeit überzeugen (‘Going Public’). Die Machtverteilung in den USA ist sehr ausgeglichen, wohl ein zentraler Grund für den langfristigen Erfolg dieses Regierungssystems. Das Zwei-Parteien System und die politische Polarisierung ist ein weiterer. Dieses Merkmal fehlt dem zweiten Beispiel: Brasilien. 

In Brasilien hat der Präsident umfassendere Befugnisse, dies wird an zwei Beispielen deutlich. Er kann Dekrete, also Verordnungen, erlassen. Diese gelten dann so lange, bis sich im Parlament eine Mehrheit dagegen findet. Zudem kann er Gesetze als dringend einstufen, dies zwingt das Parlament sofort darüber abzustimmen. Mit dem Druck der Öffentlichkeit und nur kurzer Bedenkzeit durchaus ein machvolles Instrument. 

Dem gegenüber steht allerdings ein Verhältniswahlrecht, und ein stark fragmentiertes Parteiensystem. Zudem hat die Parteizugehörigkeit kaum Stellenwert, wodurch es keine Seltenheit ist, dass Abgeordnete während Abstimmungen Lager wechseln. Dadurch muss der Präsident ständig neue Mehrheiten realisieren, um seine Vorhaben durchzusetzen. Es ist deshalb gängige Praxis, dass Kabinettsmitglieder kurz vor wichtigen Abstimmungen ihren Posten aufgeben, im Parlament abstimmen und wieder ins Amt berufen werden. 

Sowohl die Stärken als auch die Schwächen des präsidentiellen Regierungssystems gehen auf die starke Legitimation des Präsidenten zurück. Präsidentschaftskandidaten sind direkte Vertreter des Volkes und müssen sich als solche selbst Mehrheiten in der Bevölkerung erarbeiten. Somit bilden sie nach erfolgreicher Wahl ein Symbol der nationalen Einigkeit (“natural symbol of national unity”). Die Kehrseite ist, dass nur eine Partei (ein Kandidat) gewinnen kann, obwohl ein anderer eventuell auch viele Stimmen sammeln konnte. Zudem ist es nicht ungewöhnlich, dass Präsidenten zu Diktatoren werden – Die USA ist das einzige Beispiel eines langfristig stabilen präsidentiellen Systems.

Über das parlamentarische Regierungssystem

Im Gegensatz zum präsidentiellen System, haben wir es im parlamentarischen Regierungssystem mit Gewaltenverschränkung zu tun. Die Regierung (Exekutive) geht aus dem Parlament (Legislative) hervor, während dieses wiederum vom Volk gewählt wird. Als Grundkonzept gilt, dass die Bürger einer Partei den Regierungsauftrag übertragen. Zudem ist die Trennung von repräsentativer, würdevoller Rolle und der politischen Führung ein weiteres zentrales Merkmal. Belgien ist ein gutes Beispiel, um sich den Prozess der Regierungsbildung genauer anzuschauen. 

Nach den Wahlen wird durch das Staatsoberhaupt ein ‘informateur’ bestimmt, in der Regel ein respektiertes, langjähriges Mitglied des Parlaments. Dieser ‘informateur’ empfiehlt dem Staatsoberhaupt wiederum einen ‘formateur’ (i.d.R der Kandidat der meistgewählten Partei), dieser wird mit der Koalitionsbildung betraut. Das allgemeine Ziel einer Koalitionsbildung ist es, eine Mehrheitsregierung, also eine Mehrheit an Sitzen im Parlament, zu bilden. 

Jeder weitere Koalitionspartner bringt seine eigenen Interessen (und die seiner Wähler) mit, und erwartet, dass diese berücksichtigt werden. Deshalb ist es sicherlich nicht verwunderlich, dass die ‘minimum winner coalition (MWC)’ die Beliebteste Koalitionsform ist. Die Charakteristika dieser Koalitionsbildung können in einem Satz zusammengefasst werden. So wenig Partner wie möglich, aber so viele wie nötig und so ähnliche Partner wie möglich. Ähnlichkeit in der parteiideologischen Ausrichtung ist natürlich attraktiv, denn dann ist der Konsens näher an den ursprünglichen Forderungen. 

Wie aus Deutschland bekannt, vereinen sich auch häufig einfach die beiden größten Parteien von links und rechts. Dies ist bekannt als ‘grand winner coalition’, oder in Deutschland als Große Koalition. Es gilt zu beachten: Umso umfassender die Mehrheit im Parlament, umso größer ist die Legitimierung. Abschließend kann es unter gewissen Umständen auch Sinn machen eine ‘oversized winner coalition’ anzustreben (primär: Instabilität der Koalition).

In Ländern mit Verhältniswahlrecht ist es relativ unüblich, dass eine Partei allein eine absolute Mehrheit erreicht. Ganz anders ist dies beispielsweise in Großbritannien, einem Land mit Mehrheitswahlrecht. Dort gibt es faktisch ein Zwei-Parteien System (dass sich mittlerweile in ein Mehr-Parteien System entwickelt), wodurch eine absolute Mehrheit einer Partei die Regel ist. Dort fällt der Prozess der Koalitionsbildung selbstverständlich weg. Eine weitere Möglichkeit eine Koalitionsbildung zu vermeiden, ist eine Minderheitsregierung. Dies ist aber nur mit einer sehr konstruktiven Opposition umsetzbar (z.B Schweden). 

Es wird deutlich: Es gibt zwar einige Grundmerkmale, aber viel hängt von konstitutionellen Auslegungen und der politischen Kultur des jeweiligen Landes ab. Ähnliches lässt sich auch bei der Regierungsarbeit feststellen. Es gibt drei verschiedene Typen der Arbeitsteilung innerhalb der Regierung: 

  1. ‘Cabinet Government’ (Die Minister diskutieren die politischen Leitlinien gemeinsam, ohne nennenswerte Hierarchie) 
  2. ‘Prime Ministerial Government’ (Kanzlerprinzip: Der Kanzler ist verantwortlich gegenüber dem Bundestag, die Minister unterstehen dabei dem Kanzler.) 
  3. ’Ministerial Government’ (dezentralisierte Regierungsform: die Minister sind für ihre eigenen Ressorts verantwortlich und arbeiten in diesen eigenständig)

Insbesondere die erste Form unterliegt dem Grundsatz Primus Inter Pares (Erster unter Gleichen), also der kollegialen Regierungsarbeit – und gemeinsame Verantwortung. In Deutschland kommen die beiden anderen Prinzipien zum Tragen. Einerseits haben wir die starke Position des Kanzlers, und somit einen hierarchischen Aufbau. Andererseits arbeiten die einzelnen Ministerien relativ unabhängig voneinander an ihren jeweiligen Fachgebieten, mit den Ministern als “Abteilungsleiter”.

Konkret trägt der Kanzler die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament, dafür ist er mehr als nur der “Prime-Minister” (Erste Minister). Durch das Instrument der ‘Richtlinienkompetenz’ kann er Entscheidungen erzwingen. Die Einsetzung beschränkt sich allerdings häufig auf Situationen, in denen Streitigkeiten zwischen den Koalitionspartnern, beziehungsweise Ministern beizulegen sind. 

Bisher wurden die Prozesse der Regierungsbildung und der Regierungsführung beleuchtet, aber was ist mit dem Regierungswechsel? Das erste Szenario, Neuwahlen nach Ablauf der Wahlperiode, soll hierbei vernachlässigt werden. Das Parlament hat nämlich auch die Befugnis der Regierung das Vertrauen zu entziehen und somit Neuwahlen zu provozieren. Neben Machtmissbrauch (In diesem Fall ist es auch im präsidentiellen System möglich), können auch kontroverse Entscheidungen oder eine zerbrochene Koalition diesen Prozess einleiten. 

Die Hürden unterscheiden sich von Land zu Land, aber hier soll wieder Deutschland als Beispiel hergezogen werden. Das Grundgesetz setzt die hoch an und fordert das Präsentieren einer Alternative, bevor der alte Kanzler und somit die Regierung entlassen werden kann. Bekannt ist dieser Prozess als “konstruktives Misstrauensvotum”. Aber wie stabil kann eigentlich, ein auf parteiinternen und parteiexternen Konsens ausgelegtes System sein? 

In einer parlamentarischen Demokratie kommt der Opposition eine entscheidende Rolle zu. Eine konstruktive Opposition erleichtert die Regierungsarbeit und verhindert politischen Stillstand und Instabilität. Die konstruktive Parteienkultur und die sozial fundierten Mehrheitsverhältnisse in den westeuropäischen Staaten fördert und stellt deshalb die Stabilität des parlamentarischen Systems sicher. Die durchschnittlichen Koalitionen halten auch deshalb im Durchschnitt doppelt so lange, im Vergleich zu den post-kommunistischen osteuropäischen Staaten (vgl. Baylis, 2007). Es scheint als wäre neben verfassungsrechtlichen Grundsätzen die informalen Grundsätze der Länder genauso entscheidend für die Stabilität. 

Über die fünfte Französische Republik

Frankreich ist ein spezieller Fall, denn dort findet sich eine Kombination der beiden reinen Regierungssysteme. Wie aus dem präsidentiellen System bekannt, wird der Präsident unabhängig von der Nationalversammlung (Legislative in Frankreich) vom Volk gewählt. Das war es allerdings schon mit großen Gemeinsamkeiten. Die Exekutive ist nämlich zweigeteilt, wobei der Präsident den Premierminister ernennt – i.d.R den Mehrheitsführer. Der Premierminister ist dann wiederum dafür zuständig ein Kabinett zu bilden, wobei die Mitglieder nicht gleichzeitig der Nationalversammlung angehören dürfen.  

Die Amtszeit des Präsidenten beträgt seit 2000 fünf Jahre. Der Premierminister, und sein Kabinett können verfassungsrechtlich nur durch ein Misstrauensvotum der Nationalversammlung abgesetzt werden. Allerdings hat es sich etabliert, dass die Regierung bei Neuwahlen des Präsidenten und der Nationalversammlung (alle sechs Jahre) zurücktritt. 

Dadurch soll eine so genannte ‘Kohabitation’ verhindert werden. Dieser Begriff beschreibt den Fall, dass der Premierminister und der Präsident nicht derselben Partei angehören. In einer solchen (seltenen) Situation, beschränkt sich der Präsident auf seine verfassungsrechtlich zugesprochenen Kompetenzen – also die Außen- und Sicherheitspolitik. Sind beide allerdings in der selben Partei, übernimmt der Präsident de facto alle Politikbereiche. Das Kabinett nimmt dann eher eine ausführende Rolle ein. 

Allein aus diesem kleinen Abriss des Regierungssystems Frankreichs wird deutlich, dass eine Koordination der beiden Exekutiv-Köpfe essenziell ist. Die Macht des Präsidenten ist dabei abhängig von den Mehrheitsverhältnissen bei der Parlamentswahl. Allerdings wird de facto präsidentiell regiert, seit die Amtszeit des Präsidenten an die Amtszeit der Abgeordneten angepasst wurde. Dennoch bleibt Frankreich ein Sonderfall, mit einem Präsidenten, der eine hohe außenpolitische Orientierung besitzt. Die Bedeutung der politischen Kultur, und Traditionen, zeigt sich bei der umstrittenen Rentenreform Macrons. 

Quellen

Primärquelle

  1. Hague, Rod, and Martin Harrop. “The Political Executive .” Comparative Government and Politics: an Introduction, 9th ed., Palgrave Macmillan, Basingstoke, Hampshire, 2010, pp. 299–316.

Sekundärquellen:

  1. Unknown. “Französische Regierung.” Wikipedia, Wikimedia Foundation, 25 Feb. 2023, https://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B6sische_Regierung.
  1. Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2020. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
  1. JuraforumWiki-Redaktion, Unknown. “ᐅ Exekutive: Definition, Begriff Und Erklärung Im Juraforum.de.” JuraForum.de, 21 Nov. 2022, https://www.juraforum.de/lexikon/exekutive.

Bildquelle:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Weißes_Haus,_Washington,_USA.jpg – Autor: www.elbpresse.de. Am 12.04.2023 abgerufen und mit www.canva.com editiert.

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