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Politik in Liedern: Sockosophie von Käptn Peng

Bild von JoeJoeJoe93

Käptn Peng zählt mit Sicherheit nicht zu den klassischen Vertretern des Main-Stream Hip-Hops. Der Schauspieler Robert Gwidsek, neben seinem Musikerdasein auch Schauspieler und Autor, lässt den Dadaismus neu erwecken uns stellt sich gegen die Ideale und Werte der bürgerlichen Gesellschaft. Doch in seinem Song „Sockosophie“ geht er womöglich noch einen Schritt über die neodadaistische Bestrebung hinaus.  Er stellt sich gegen jegliches Wertesystem an sich, fordert die Abschaffung des Ichs und ruft eine neue Philosophie der Socken aus.

Der Text, der in seiner Komplexität und Tiefe im modernen Musik-Geschäft seinesgleichen vergeblich suchen wird behandelt die Frage nach dem Ursprung allen Seins. Was ist Realität und was Existenz? Gibt es Wirklichkeit? Und was soll die Theatervorstellung, die wir leben nennen?

Durch stimmige Bilder und Beispiele baut der Künstler verwirrende und humoristische Wendungen ein. Die Quelle allen Seins wird am Ende als Socke auf einer Hand entlarvt. So macht er sich lustig über die Ernsthaftigkeit der Frage und zeigt, dass sich Philosophie nicht in ein bestimmtes Medium zwängen lässt. Der Text bleibt bis zum Schluss wage und uneindeutig. Er liefert keine klaren Antworten oder neue Erkenntnisse. Und doch ist es der Mut zur Frage, der uns weiterbringt in der Theatervorstellung, die wir Leben nennen.

Textanalyse

»Logbucheintrag 612: An meinem Fenster fliegen Menschen vorbei

Dieser Satz bildet den Ramen des Werkes. In der Wortänderung des strukturgleichen Schlusssatzes steckt in kompromittierter Fassung die Grundprämisse des Textes; noch sieht lyrische Ich beobachtet Menschen, später Socken

Nach all den Jahren kann ich immer noch nicht fassen:
Woraus hat sich dieser ganze Kram erschaffen?

Gezielte Hinführung auf die zentrale Frage des Stückes: Der Ursprung allen Seins

 

Hat er sich von 0 auf 100 in den Raum gesetzt?
Ohne zu fragen, vom Nichts ins Jetzt?
Einfach so und aus sich selbst heraus?

Beschreibung der Kernaussage des Urknalls: Aus dem Nichts entstand das Universum und somit Zeit, Raum und Materie. Doch die Häufung der Fragesätze deuten darauf hin, dass das lyrische Ich an diesem Erklärungsversuch zweifelt.


Und gibt den ganzen Tag heimlich sich selbst Applaus?

Das lyrische Ich mutmaßt dem Schöpfer diese arrogante Haltung an; Der Schöpfer ist zufrieden mit seinem Werk und lässt den Protagonisten alleine mit der Frage des Ursprungs zurück


Während Billiarden Mal Billiarden Mal Billiarden Formen wachsen
Und sich zu halbbewussten Wesen formen lassen

Beschreibung/Anspielung auf Darwins Evolutionstheorie, die die Veränderung der Spezies durch kleine Weiterentwicklungen über unzählige Generationen erklärt


Es war Gott!

Weitere mögliche Erklärung des Ursprungs; Gott als allmächtige Instanz der Erschaffung der Welt


Aha und wer hat Gott erschaffen?
Hm, ich finde, dabei will doch irgendwas nicht passen
Fassen wir jetzt noch mal zur Übersicht zusammen:
Das Nichts, der Urknall, Menschheit, Untergang

 

Scherzhafte Zusammenfassung der circa 13.8 Milliarden Jahren

“Das Nichts” steht für das, was war, bevor etwas war. In Wissenschaftskreisen ist sogar umstritten, dass es überhaupt etwas vor dem Urknall gab, da laut der gängigen Therorie über den Urknall diese nicht nur Materie und Raum, sondern eben auch die Zeit als soches erschaffen hat – und wie soll es etwas zeitlich vor der Zeit gegeben haben?

Der Untergang der Menschheit als zynische Zukunftsaussicht (Überleben der Menschheit nur zeitlich begrenzt)


Ne Moment, stopp, das ist zu einfach und zu ausgedacht
Wir werden schon von all den andern Weltraumrassen ausgelacht
Als die nichts Checkenden
Sich selbst Zerstörenden
Verrückten, Deprimierten
Die nichts sehen und nichts hören
Und die um sich Schlagenden
Verängstigten, Bekloppten
Die vergaßen, was sie waren
Und sich selber ständig foppten
Und sich toppten in der Disziplin der Selbstverarschung

Kann als zeitgenössische Gesellschaftskritik gelesen werden,

„sich selbst zerstörend“; Zerstörung der Natur führt zur Vernichtung des Menschen

„Und die um sich Schlagenden“; Krieg und Gewalt ziehen sich durch die Geschichte des Menschengeschlechts

„Die vergaßen, was sie waren“; Verlust zur eigenen Tierhaftigkeit, Verlust eines Naturverhältnisses


Unsere Labyrinthe übersteigen die Erwartung
Jedes möglichen Meisters der Labyrinthe-dichtkunst
Wir folgen dem Kaninchen!

Referenz zum Jugendroman Alice im Wunderland (Lewis Carroll), in dem die Protagonistin Alice einem weißen Kaninchen in seinen Bau folgt. Dort fällt Alice weit hinunter und landet letztendlich in einer Welt, die keiner uns bekannten Logik entspricht.


Und, huch, plötzlich bricht uns der Boden weg
6000 Jahre Fallen

Der Beginn der menschlichen Zivilisation und damit verbundenen Sesshaftigkeit begann vor ca. 6000 Jahren.


Leute, die versuchen, sich mit Gurten festzuschnallen

Die „Gurte“ sind Glaubenssysteme und Dogmen, die Halt bieten und die existentiellen Fragen auf leichte Art und Weise zu beantworten versuchen.

Wenige Zeilen später greift der Künstler die Thematik neu auf: “Sie bemerken, dass das Fallen zu Schweben wird; Wenn man aufhört sich an Dingen festzukrallen.” Forderung nach der Abschaffung der Ideologien und vereinfachten Glaubenssysteme.


Ein elegant gestaltetes
Jedoch ebenfalls fallendes
Vom Wind schon ein erkaltetes
Das sich den Spaß gefallen lässt
Bis schallendes Gelächter
Durch den Wind hallt
Denn manche machen plötzlich mitten im Wind halt
Sie stoppen, denn sie schweben
Und sie lachen sich halb tot
Haben aufgehört zu halten
Und gestalten ihre Not um zu Tugend:
Sie bemerken, dass das Fallen zu Schweben wird
Wenn man aufhört, sich an Dingen festzukrallen

Noch mal zurück zum Universum und zum Leben:
Genau genommen dürfte es das alles gar nicht geben

Dem lyrischen Ich erscheint das Phänomen der Existenz an sich unlogisch

Mögliche Anspielung auf die Idee der platonischen Theorie der Seelenlehre, der Anfang müsse „ungeworden“ sein, da er sonst nicht der Anfang wäre.


(Warum?)
Naja, woher soll es denn kommen?
(Aus dem Nichts!)
Hey, wir haben gesagt: genau genommen!
Und genau genommen kann aus Nichts entstehen

Ex nihilo nihil fit. – Aus dem Nichts entsteht nichts (Melissos)
Es wird argumentiert, dass Dinge nicht ins Nichts verschwinden können, genauso wenig wie aus Nichts etwas entstehen kann. Somit muss es vorher schon irgendetwas gegeben haben, dass letztendlich unsere Existenz begründet.


(Vielleicht kannst du es nur aus deiner Sicht nicht sehen!)

Der Mensch ist beschränkt auf Raum und Zeit und somit auf seine individuelle Perspektive, die zwar wie die Wirklichkeit erscheint, jedoch nicht unbedingt eine objektive Realität widerspiegeln muss


Hmmm, möglich wär’s, vielleicht ist das mein Problem
Denn Variante Zwei ist für mich auch nicht zu verstehen
Sie lautet: irgendwas hat schon immer existiert
(Schon immer? Ich glaub ich hab’s noch immer nicht kapiert.)
Es war nie nichts vorhanden
Es ist immer was passiert

Zuvor wurde von einem linearen/kausalen Zeitverständnis ausgegangen;

Hier Beschreibung der zweiten Variante, indem das lyrische Ich ein zyklisches Zeitverständnis ohne Anfang und Ende vorschlägt. Jedoch wäre auch dieser Erklärungsversuch schwerlich zu verstehen, geht man von der Prämisse aus, dass das menschliche Denken an das Prinzip der Kausalität gebunden ist.

In Variante zwei hingegen, schlägt das lyrische Ich ein zyklisches Zeitverständnis vor, in dem kein Anfang oder Ende notwending ist (“irgendwas hat schon immer existiert”, “es ist immer was passiert”). Ein Beispiel für eine zyklische Zeit ist Nietzsches “Ewige Wiederkunft” in seinem philosophischen Roman „Also sprach Zarathustra“.


(Seit wann?)
Mann, bleib mal bitte konzentriert
(Worauf?)
Auf dich und das Ewige, verdammt!
(Warum?)
Es ist der Ort, aus dem deine Existenz stammt
(Na und? Ist doch nicht mein Problem.)
Wer spricht denn von Problem?
Kannst du das Wunder denn nicht sehen?
Das sich dreht und entsteht
Und nie stoppt, sich zu drehen
Und dabei Licht zu imitieren
Und in sich selbst einzugehen
(Licht, welches Licht?)
Erzähl mir nicht, du siehst das Licht nicht!
(Ne!)
Alles um dich rum glüht
Nur dein Ich nicht
Denn dein Ich ist das Prisma
Durch das sich das Licht bricht

Metapher in Bezug auf die Selbstwahrnehmung. Das “Ich” ist in Wahrheit so facettenreich und divers, wie Licht, das durch ein Prisma in seine Spektralfarben zerlegt wird. Jedoch ist das Bild des Ichs, das wir sehen, verzerrt („Es bündelt, selektiert und stellt sich dar wie deine Ich-Sicht“), es ist eine Illusion.


Es bündelt, selektiert und stellt sich dar wie deine Ich-Sicht
Doch in Wirklichkeit ist dein Ich viel umfassender
Ein Teil des Teils
Der anfangs alles war

Original Johann Wolfgang Goethe in Faust I;
“Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, […]


Und wieder sein wird
Wenn du dein Ich verschmelzen lässt
Mit allem um dich rum
In dir drinnen und dem ganzen Rest
Licht mit Dunkel
Die Null mit der Eins
Das Bewusstsein mit dem Körper
Und das Alles mit dem Keins
Und so vereinst du den Schein mit dem Sein
Demontierst dein altes Heim, um dein Wesen zu befreien

Der Nondualismus bezieht sich auf einen Zustand des Bewusstseins, bei dem Verstand und Körper Eins werden und nicht mehr als Zentrum oder “ich” angenommen werden, sondern als Teil von allem, des ewigen Prozesses der Gegenwart


(Was redest du für Scheiße?
Wie wär’s wenn ich dich einfach beiße?
Für deine dreiste Art und Weise
Liefer mir erst mal Beweise!)
Wofür?
(Für den Scheiß, den du reimst!)
Du meinst das mit der Quelle und der Null und der Eins?
(Jaa!)
Okay, lass mich grübeln
Ich kann dir deine Zweifel leider wirklich nicht verübeln
Doch du musst wissen
Dass es hier ums Ganze geht
Nicht um den Namen
Der auf deinem Schulranzen steht
Identität ist etwas Überpersönliches
Ja und Nein sind nichts Unversöhnliches
Schwarz und Weiß sind beide Licht

Gefordert wird hier die Missachtung/Abschaffung der Illusion eines Ichs, da man Teil eines Ganzen ist, einer Masse oder Energie, die die Existenz und das Leben ermöglicht. Die These lautet also, dass alle Existenz nicht allein für sich existiere und vom restlichen Kosmos abgetrennt sei. Folglich müsste auch Identität etwas überpersönliches sein.

Und die Nonexistenz, die gibt es nicht!!!
(Das sind keine Beweise!)
Nein, das ist nur Vorbereitung
Für das, was ich dir zeige
Du willst Erwachen, Enthüllung
Befreiung von allen Schleiern?
Dann bitt’ ich um Verzeihung
Mit dem was ich dir zeige
Schock‘ ich dein’ Verstand:
In Wirklichkeit bist du ne Socke auf ner Hand

Die Person mit der das lyrische Ich diesen Disput führt ist lediglich eine Socke auf der eigenen Hand, und somit ein Teil von ihm selbst. Der Künstler entflieht hier jeglicher Logik, und nimmt durch das humoristische Mittel einen neuen Standpunkt in Bezug auf die Ursprungsfrage ein.

 

Dieser Vers lässt auch interessante Rückschlüsse auf den bisherigen Text zu: das gesamte Zwigespräch hat Peng nicht mit einem eigenständigen Charakter geführt, sondern mit sich selbst. Um jedoch gleichzeitig verschiedenste Positionen vertreten zu können hat er seine Persönlichkeit komplett aufgeteilt, was jedoch den unangenehmen Nebeneffekt hatte dass der neugeschaffene Teil komplett vergessen hat was es ist – eine fremdgesteuerte Socke auf einer Hand. Das denkt zumindest der Mensch, auf dessen Hand sich die Socke befindet.

Also kehren wir zurück
An den Ursprung des Ursprungs des Ursprungs des Ursprungs
Zurück an den sogenannten Eisprung des Ursprungs
Und was davor ist
Ist quasi meine Quelle
An die ich jetzt mal jene kühne Frage stelle:
„Warum?“
Sie antwortet nicht

Nicht gerade eine Quelle, die durch Service besticht
Vielleicht ist sie auch grad nicht da
Oder wollte nicht gestört werden
Oder hat mich kommen sehen
Und wollte nicht genervt werden:
(Oh Mann, schon wieder dieser Peng!
Der kommt hier immer an
Und sieht alles so eng
Und fragt Fragen,

Fragen die nen hochgestellten Kragen tragen
Zerfragt seine Frage
Bis sich sogar seine Fragen:
„Fragt er nur des Fragens Willen?
Will er wirklich Fragen stellen?“
Fatale Fragen-Fraktale
Die ihm aus den Poren quellen
Versucht mich zu umstellen
Reitet fragende Wellen
Reitet fragende Wellen
Die sogar selber Fragen stellen
Wartet, ich verarsch ihn
Werd’ mal meine Stimme verstellen

Und ihm sagen
Antworten soll er bei Quelle bestellen:

Jo, Peng, bestell doch all deine Antworten bei Quelle

Die Quelle allen Seins ist hier humoristisch dargestellt und lässt sich zu diesem kleinen Wortspiel hinreißen: Quelle.de ist nämlich ein inzwischen insolventer Onlineversandhändler, der einem fast alles nach Hause lieferte

Und nicht bei mir, der Quelle allen Seins, oder?
Pass mal auf
Also wenn du schon von Schocken redest
Du bist hier der Typ, der grade mit ner Socke redet
Die auf deiner Hand sitzt
Und mit deiner Stimme spricht
Und du behauptest, die Behauptung dieser Socke stimmt nicht?
Falsch! Ich bin die Quelle selbst

Solipsismus: erkenntnistheoretische Lehre, die alle Gegenstände der Außenwelt und auch sogenannte fremde Ichs nur als Bewusstseinsinhalte des als allein existent angesehenen eigenen Ichs sieht


Es ist gar keine Hand, mit der du dich unterhältst
Du glaubst wirklich, du bist ein abgetrenntes Wesen
Vom Kosmos, vom Urgrund, von mir und vom Leben?
Eigenständig, Unabhängig, mit eigenen Gedanken?
Du spinnst, wenn du nicht fühlst
Du bist Teil eines Ganzen
Von mir, der Socke des Lebens!
Ich bin Ursache all deines Strebens!
Manifestation eines höheren Wesens!
Erkenne! Widerstand ist vergebens!
Du bist die Socke auf meiner Hand
Bisher bist du vor der Wahrheit weggerannt!)
Aber Socke!
(Schweig!!)
Aber Socke!
(Halts Maul!!
Du bist dumm, falsch, frech und faul!
Konvertiere!!
Zur Sockosophie
Zum Sockismus
Jetzt oder nie!
Ich sockifiziere dich
Es geschieht
Jetzt grade hier
Im Takt zum Beat
Das hier ist mein Gebiet!
… )

Logbucheintrag 612: An meinem Fenster fliegen Socken vorbei

Logbucheintrag 612: An meinem Fenster fliegen Socken vorbei

 

Dieser Vers bildet mit dem ersten den Rahmen des Werkes,

Veränderung: aus Menschen, die am Fenster vorbeifliegen sind nun Socken geworden.

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